Zwischen mehr Staat und schärferen Einsparungen: Präsident Nicolas Sarkozy und sein sozialistischer Herausforderer François Hollande bieten den Franzosen zwei völlig unterschiedliche Visionen an.
Paris. Die TV-Konfrontation von Nicolas Sarkozy und François Hollande am Mittwochabend war die letzte Gelegenheit, die Weltanschauungen der Präsidentschaftskandidaten zu vergleichen. Während Hollande erklärte, er werde als Präsident das Land wieder in Gang bringen, sagte Sarkozy, er wolle ein Präsident für alle sein und nicht Mann einer Partei. "Ich stehe links, Sie stehen rechts", polterte Hollande in Richtung Sarkozy. Und meinte auch: "Hören Sie auf, das Opfer zu spielen." Sarkozy wiederum entgegnete, Frankreich könne sich keine Fehler erlauben.
„Die Presse" wagt einen Blick in die Zukunft, welche Richtung Frankreich nach der Wahl einschlagen könnte.
Wenn die Franzosen mit Hollande leben
So spektakulär der Wahlerfolg von François Hollande auch war, so unaufgeregt beginnt der neue Hausherr im Élysée-Palast seinen ersten Arbeitstag. Wie versprochen senkt der Staatschef zuerst sein eigenes Gehalt und die Entschädigung der Minister um 30 Prozent. Das ist nur symbolisch, aber ein leicht zu haltendes Versprechen der Kampagne. Auch werden die Treibstoffpreise vorübergehend eingefroren. Im Zuge einer Konferenz mit den Sozialpartnern noch vor den Sommerferien wird der gesetzliche Mindestlohn leicht angehoben.
Viel schwerer steht es um den Rest seines 60-Punkte-Programms. Auch wenn er noch so viele Steuererleichterungen streicht, 60.000 Stellen im Bildungsbereich wird Hollande in fünf Jahren kaum schaffen können. Auch die versprochenen 150.000 Einstiegsjobs für Junge lassen sich nur bedingt staatlich verordnen. Einkommen ab einer Million Euro besteuert Hollande mit 75 Prozent. Die kürzliche Mehrwertsteuererhöhung wird rückgängig gemacht. Steuerflüchtlinge sollen die Differenz zwischen den Abgaben in ihrem ausländischen Domizil und der Besteuerung in Frankreich an den Fiskus der Heimat abliefern. Trotz zusätzlicher Ausgaben sollen so die Staatsfinanzen bis 2017 ausgeglichen werden.
AKW werden stillgelegt
Den Sparzwang durch eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse lehnt Hollande ab. Er will darum den EU-Fiskalpakt erst ratifizieren lassen, wenn dazu ergänzend auch ein Wachstumspakt beschlossen worden ist. Noch im ersten Amtsjahr wird ein erstes AKW (das älteste in Fessenheim) stillgelegt und ein Übergang in der Energieversorgung eingeleitet, um bis 2025 die Abhängigkeit vom Atomstrom von 75 auf 50 Prozent zu reduzieren. Bis Ende 2012 werden alle französischen Soldaten aus Afghanistan abgezogen. Homosexuelle Partner bekommen die Möglichkeit zu heiraten.
Wenn Sarkozy eine zweite Chance erhält
Überraschungssieger Nicolas Sarkozy hat seine (Wieder-)Wahlkampagne auf ein Versprechen beschränkt: Was er bisher nicht erreichen konnte, das will er in seinem zweiten Mandat vollbringen. Frankreichs Finanzen will er bis 2016 ins Lot bringen. Dazu hat der Präsident vor seiner Wiederwahl bereits verschiedene Sparmaßnahmen, vor allem aber zusätzliche Einnahmen, namentlich eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, verabschieden lassen. Auch betuchte Auslandsfranzosen sollen vom Fiskus zur Kasse gebeten werden.
Natürlich wusste er, dass mehrere Unternehmen mit dem geplanten Stellenabbau gewartet hatten. Auch mit einer Herabstufung Frankreichs durch die Ratingagenturen hatte er gerechnet, obwohl er angekündigt hatte, dass mit ihm die Haushaltsdisziplin des Fiskalpakts respektiert würde. Um beispielsweise die Reform der Arbeitslosenversicherung durchzusetzen, möchte Sarkozy seine Politik – wie jedes Mal, wenn er im linken Senat oder bei den Gewerkschaften auf Widerstand stößt – mit einer Volksabstimmung durchsetzen. Auch die letzten Überreste der 35-Stunden-Woche werden gestrichen, und das Streikrecht im öffentlichen Dienst wird eingeschränkt. Die Abschaffung des Beamtenstatus soll kein Tabu mehr sein.
Absprachen mit Le Pen nicht ausgeschlossen
Als Antwort auf den Erfolg der Rechtspopulisten bei den Wahlen will der Präsident die Grenzkontrollen im Schengen-Raum verschärfen, die Zahl der Neuzuwanderer auf weniger als 100.000 pro Jahr halbieren und gegenüber Muslimen auf eine strikte Respektierung der weltlichen Neutralität drängen, was jede Sonderregelung für Kleidung oder Nahrung im öffentlichen Bereich ausschließt. Zumindest punktuelle Wahlabsprachen mit Kandidaten des Front National von Marine Le Pen sind nicht mehr ausgeschlossen, um eine Rechtsmehrheit gegen die vereinigt auftretenden Linksparteien durchzusetzen.
Auf einen Blick
Nicolas Sarkozy steht vor der Präsidentenwahl am Sonntag mit dem Rücken zur Wand. Eine Ipsos-Umfrage sieht den sozialistischen Kandidaten, François Hollande, mit 53 Prozent in Führung, der Amtsinhaber kommt demnach auf 47 Prozent. Damit hat sich Sarkozys Rückstand zwar leicht verringert, eine Wiederwahl geht sich aber immer noch nicht aus. Um noch ein Comeback zu schaffen, braucht Sarkozy die Stimmen jener, die zuvor für Marine Le Pen votiert haben.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2012)