Amtsinhaber Nicolas Sarkozy hat am Sonntag bei der Stichwahl um die französische Präsidentschaft die schlechteren Karten.
Falls nicht noch etwas Unerwartetes eintreten sollte, wird der nächste Staatspräsident Frankreichs François Hollande heißen. Amtsinhaber Nicolas Sarkozy hätte nur dann eine Chance, wenn ihm am nächsten Sonntag sämtliche Anhänger Marine Le Pens ihre Stimme geben würden. Dies wird aber nicht geschehen. Für viele ist der Hass auf Sarkozy stärker als die Abneigung gegenüber der Linken, und einige im ersten Durchgang von den markigen Sprüchen der „Front National“-Chefin angezogene Sozialisten könnten nunmehr zu Hollande zurückkehren.
Noch entscheidender aber ist das strategische Interesse Le Pens an einer Niederlage Sarkozys. Sie sieht sich als Führerin einer „neuen Rechten“ und kann dieses Ziel nur erreichen, wenn die Sarkozy-Partei UMP, die derzeit das konservative Lager repräsentiert, implodiert.
Ebenso müsste es dem Front National bei der Parlamentswahl im Juni gelingen, erstmals in die Assemblée einzuziehen. Eine Wiederwahl Sarkozys würde die UMP stärken und einen Erfolg bei der Juniwahl wahrscheinlich machen. Im Fall seiner Niederlage hingegen wäre mit dem raschen Ausbruch einer Führungsdebatte und der Schwächung der Partei zu rechnen.
Wie zu erwarten, hat Marine Le Pen keine Wahlempfehlung für ihre Anhänger ausgegeben. Ihr Hinweis jedoch, dass sie selbst „weiß“ wählen wird, und die wiederholt gemachte Äußerung, dass „Sarkozy erledigt ist“, wird von ihren Wählern sicherlich richtig verstanden werden. Für Sarkozy wäre es bereits ein großer Erfolg, könnte er die Hälfte der Le-Pen-Wähler an sich ziehen. Für einen Sieg würde dies allerdings nicht ausreichen.
Die Unbekannte in der Rechnung
François Hollande auf der anderen Seite kann mit der soliden Unterstützung der kleineren Linksparteien rechnen, die im ersten Wahlgang zusammengenommen nicht viel weniger Stimmen erhalten haben als Le Pen. Die Unbekannten in dieser Rechnung sind die Höhe der Wahlbeteiligung und die Frage, welcher der beiden Kandidaten seine Wähler besser wird mobilisieren können.
Was würde ein Wahlsieg Hollandes bedeuten? Und sind die von manchen geäußerten Befürchtungen gerechtfertigt?
Gift für Frankreichs Wirtschaft
Am gefährlichsten scheinen die von Hollande für Frankreich selbst angekündigten politischen Vorhaben. Hierbei handelt es sich um überholte Versatzstücke der linken Gewerkschaften – von einer Kürzung der Arbeitszeit, der Herabsetzung des Pensionsalters, der Schaffung neuer Posten im staatlichen Bereich bis zu einer exorbitanten Reichensteuer. Diese Maßnahmen wären Gift für die bereits in größten Schwierigkeiten befindliche französische Wirtschaft.
Auf europäischer Ebene ist die Forderung, den Fiskalpakt durch eine Ankurbelung der Wirtschaft zu ergänzen, durchaus vernünftig. Schuldenabbau und Austeritätspolitik sind notwendig, treiben aber die Wirtschaft in die Rezession. Selbst die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die „Sparmutter Europas“, sprach sich kürzlich für Wachstumsimpulse aus.
Apropos Merkel: Diejenigen, die fürchten, die deutsch-französische Achse würde bei einer Wahl Hollandes auseinanderbrechen, können beruhigt sein. Auch die Beziehungen zwischen Helmut Schmidt und Valéry Giscard d'Estaing oder François Mitterrand und Helmut Kohl waren keine Liebesheirat – und „Merkozy“ ist nicht schon bei der ersten Begegnung entstanden. Die deutsch-französische Zusammenarbeit beruht auf politischem Interesse und der gemeinsamen Verantwortung für Europa, unabhängig von den jeweiligen Amtsträgern.
Albert Rohan (*9. 5. 1936 in Melk) war von 1995 bis 2001 Generalsekretär im österreichischen Außenministerium.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2012)