Nicolas Sarkozy geht, die Probleme bleiben

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Der Triumph der Wahlsieger dauerte eine Nacht. Am Tag danach beginnt die politische Realität für den designierten Präsidenten. François Hollande wirbt nun um Unterstützung Europas für seine Wachstumsoffensive.

Paris. „Sarkozy, il est parti“ (Sarkozy ist weg) singt eine Gruppe von Frauen mit einem unüberhörbaren Akzent der Antillen. Sie tanzen dazu. Der Wahltag war lang, die Nacht des Sieges wird viel zu kurz sein. Niemand will sich dieses Fest entgehen lassen. Schon hunderte Meter vor der Bastille in Paris gibt es kein Durchkommen mehr. Auf dem Platz selbst hat sich eine Menge von zehntausenden Menschen versammelt. Das Gedränge ist beängstigend. Zudem hat die Polizei einige Straßen und damit mögliche „Fluchtwege“ aus unerfindlichen Gründen abgeriegelt. Zum Glück gibt es keine Panik. Im Gegenteil – die Wahlsieger strahlen, lachen, und sie stoßen mit Champagner oder Bier auf ihren Triumph an. Von den Jüngeren sagen einige, sie hätten nur die politische Rechte an der Macht gekannt.

Viele der Älteren, unter ihnen der Schauspieler Michel Piccoli (86), erinnern sich an den 10. Mai 1981, als sie auf demselben Platz mit der Siegessäule den Triumph von François Mitterrand gefeiert hatten. Auf der Bühne lösen sich Popstars und Chansonniers ab.

„Sarkozy ins Gefängnis“

Der kollektive Freudentaumel zeigt, wie verhasst Sarkozy bei der Linken sein muss. „Man könnte meinen, ein Diktator sei gestürzt worden“, meint auch eine Frau ohne Angst vor einer maßlosen Übertreibung. „Sarkozy en prison!“ (Sarkozy ins Gefängnis) rufen im Chor Gruppen von Jungsozialisten, die sich wie Fans bei einer Fußball-WM mit eine Trikolore als „Kriegsbemalung“ auf die Wangen geschminkt haben. Ihr Triumph hat einen Nebengeschmack der Revanche. Sie wollen, dass sich Nicolas Sarkozy nach dem Ende seiner Immunität als Staatschef wegen angeblicher illegaler Finanzierung seiner Präsidentschaftskampagne von 2007 verantworten müsse.

Zum selben Zeitpunkt leert sich in einer ganz entgegengesetzten Ambiance der Saal „La Mutualité“, in dem kurz zuvor der Wahlverlierer vor konsternierten und weinenden Anhängern mit einer Fairness und Eleganz, die ihm seine Gegner nie zugetraut hätten, seine Niederlage eingestanden und seinen Rückzug aus der Tagespolitik angekündigt hat. „Ich liebe euch“, hat der scheidende Präsident ihnen zum Schluss versichert.

Ein letztes „Bravo!“ für den Präsidenten

Manche von ihnen hoffen mit Tränen in den Augen, dass der Abschied nach einer verlorenen Wahl nicht Sarkozys letztes Wort ist. „Bravo!“, rufen sie ihm noch für seine Kampagne zu, bei der sie bis zum bitteren Schluss mitgefiebert hatten. Auch Sarkozys Mitarbeiter wollen sich nicht besiegt geben, sie rüsten schon für die nächste „Wahlschlacht“: die Erneuerung der Nationalversammlung Mitte Juni. Zu dieser wird die bürgerliche Rechte aber nicht mehr mit Sarkozy, sondern unter Führung von UMP-Parteichef Jean-François Copé antreten.

Auf der Bastille steigt die Stimmung auf den Siedepunkt, als der gewählte Präsident François Hollande erst spät nach Mitternacht eintrifft. „Merci, merci“, ruft er ihnen zu, er mahnt die Anhänger, dass er und seine zukünftige Regierung nun eine parlamentarische Mehrheit zur Verwirklichung ihres Programmes bräuchten. Die Mobilisierung müsse bis zu den Wahlen im Juni weitergehen. „Ich weiß nicht, ob ihr mich versteht, aber ich habe euch verstanden“, rief Hollande der Menge zu. Er habe den Wunsch nach Veränderung vernommen und werde „der Präsident der Jugend und der Gerechtigkeit“ sein.

Algerische und tunesische Fahnen

Unter den ausgelassen Feiernden sind besonders viele Junge, denen Hollande eine bessere Zukunft und vor allem mehr Berufschancen versprochen hat, darunter auch auffallend viele Farbige aus den „Banlieue“-Außensiedlungen der Hauptstadt.

Eine Gruppe aus Clichy-sous-Bois, wo 2005 eine gewaltsame Revolte von Vorstadtjugendlichen begonnen hat, erzählt, schon im Bus hätten die Leute wegen der Abwahl von Sarkozy getanzt. In ihrem fast ausschließlich von Immigrantenfamilien bewohnten Quartier hätten sich auch die als Franzosen Eingebürgerten wie „Untermenschen“ und „Bürger zweiter Klasse“ behandelt gefühlt. Auf der Bastille werden neben Tausenden von blau-weiß-roten Trikoloren und ebenso vielen Parteibannern auch algerische, tunesische, marokkanische oder ägyptische Fahnen geschwenkt. Auf Hollande setzen auch sie ihre Hoffnung. Wie geht der designierte Präsident mit all diesen Erwartungen um? „Ich rechne nicht mit einer Schonzeit“, schickt er voraus: „Die Probleme werden nicht mit Nicolas Sarkozy verschwinden, er wird weder die öffentlichen Schulden noch die Arbeitslosigkeit oder die sozialen Notlagen mit sich forttragen.“ Und doch zeigte er sich euphorisch: „Der 6. Mai wird ein neuer Start für Europa sein und eine neue Hoffnung für die Welt.“

Hollande zählt nun auf Europa: Ohne Unterstützung durch die EU und durch die Europäische Zentralbank in Frankfurt gebe es kein Wachstum, sagt er. Darum wünscht er eine aktivere Rolle der EZB bei der Ankurbelung der Volkswirtschaften der Euro-Gruppe durch Investitionen in Infrastrukturprogramme. Ebenfalls gegen bisherige Widerstände aus Berlin fordert er die Schaffung von Eurobonds und mehr Kredite für die seiner Meinung nach unterbeschäftigte Europäische Investitionsbank.

Angelobung am 15. Mai

Und ohne Zusage für Verhandlungen über solche wachstumsfördernde Initiativen durch die EU will Frankreich den Fiskalpakt nicht ratifizieren. Hollande sagt, dass er die Notwendigkeit des Schuldenabbaus nicht infrage stelle. Er schlägt den europäischen Partnern – und namentlich Deutschland – folgenden Deal vor: keine automatische Schuldenbremse ohne Wachstumspakt. Berlin zeigt sich auch in dieser Frage äußerst skeptisch.

Hollande hat sich deshalb noch am Wahlabend mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel auf eine „pragmatische Verständigung“ geeinigt. Hollande will allen Kritikern beweisen, dass seine Rechnung aufgeht. Er will dabei nicht nur auf die Ermunterungen von Linksparteien aus dem EU-Raum setzen. Dass EZB-Boss Mario Draghi und einige der europäischen Regierungschefs nun auch von der Notwendigkeit der Wachstumsförderung reden, sieht Hollande dabei als Ermutigung. Von Nicolas Sarkozy wird er das Präsidentenamt am 15. Mai übernehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2012)

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