Ein Berliner Arzt untersucht Timoschenko im Gefängnis, die deutsche Regierung verhandelt über Freilassung der Politikerin. Offiziell blockt die Ukraine (noch) ab.
Wien/Kiew. Neue Entwicklung im Fall Julia Timoschenko: Karl Max Einhäupl, Chef der Berliner Charité, ist am Freitag erneut in die Ukraine gereist. Einhäupl hatte bereits im Februar und im April die ukrainische Ex-Premierministerin im Charkiwer Gefängnis untersucht und ein medizinisches Gutachten erstellt. Damals hatte der Arzt einen Bandscheibenvorfall festgestellt und zudem an der Möglichkeit einer professionellen Behandlung der zu sieben Jahren Haft verurteilten Politikerin in der Ukraine gezweifelt. Einhäupl will Timoschenko nun erneut untersuchen. Begleitet wird er dabei von deutschen Diplomaten. Gleichzeitig verhandelte die deutsche Bundesregierung – dem Vernehmen nach das Bundeskanzleramt – mit hochrangigen ukrainischen Beamten über eine Ausreise Timoschenkos.
Von offizieller ukrainischer Seite heißt es zwar nach wie vor: Eine medizinische Behandlung Timoschenkos im Ausland sei unmöglich. Dies bekräftigte gestern der ukrainische Botschafter in Österreich, Andrij Bereznyi, bei einer Pressekonferenz: „Inhaftierte dürfen nur in der Ukraine behandelt werden. Für Timoschenko wird keine Ausnahme gemacht.“ Aus dem deutschen Außenamt hieß es gestern, eine Lösung werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen.
„Zuspitzung der Situation“
Verschärft wird die Situation durch Timoschenkos Hungerstreik seit dem 20. April. Der Gesundheitszustand der Politikerin gilt als geschwächt. Botschafter Bereznyi kritisierte gestern den Aktionismus: „Damit spitzt sie absichtlich die Situation zu und will größeres Aufsehen vor der EM erregen.“
Dies dürfte Timoschenko auch gelungen sein. Die Ukraine muss zwar nicht um die Austragung der EM fürchten, dennoch droht das geplante „Fußballfest“ eine Blamage zu werden. Westliche Politiker drohen fernzubleiben. Die Ukraine kritisiert die Boykottdrohungen als „politische Instrumentalisierung“. Bereznyi: „Das Fußballfest steht außerhalb der Politik.“ Die EM werde als Instrument zum Erreichen bestimmter innenpolitischer Ziele eingesetzt.
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel lässt ihre Teilnahme an der EM weiter offen. Man werde darüber erst „relativ kurzfristig“ unter besonderer Berücksichtigung des Falles Timoschenko entscheiden. Auch aus Österreich – dessen Nationalelf nicht teilnimmt – werden keine Gäste erwartet. Eine Einladung von Präsident Viktor Janukowitsch an Bundeskanzler Werner Faymann blieb bisher „leider“ unbeantwortet, sagte Bereznyi. Polens Ministerpräsident Donald Tusk (PO) bezeichnete den Appell eines Boykotts hingegen als „Eigentor“. Er habe vor, dem EM-Finale beizuwohnen. „Ich verstehe die Haltung der Politiker, die sich mit Julia Timoschenko solidarisieren“, sagte Tusk. Leider erfolge diese Reaktion aber „so spät“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2012)