Was von fünf Jahren Sarkozy bleibt

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Der französische Präsident hat viel versprochen und voller Elan angepackt. Das meiste blieb halb verrichtet liegen.

Paris. Nicolas Sarkozy stand in seiner Wahlkampagne vor einem Paradoxon. Als bisheriger Staatspräsident, der für seine Wiederwahl antritt, pocht er auf die Erfahrung seiner im Verlauf von fünf Jahren erworbenen Kenntnisse und seine persönlichen Beziehungen und Freundschaften mit den Staats- und Regierungschefs der Welt. Zugleich aber ist ihm bewusst, dass Frankreich in vielen Belangen heute schlechter dasteht als vor seiner Wahl im Mai 2007. Seine Bilanz drohte im Wahlkampf zum größten Handicap zu werden.

Für seine Gegner lässt sich daher das vernichtende Urteil über seine Präsidentschaft in wenigen Zahlen zusammenfassen, die kaum Widerspruch dulden. Frankreichs Verschuldung stieg um mehr als 500 Milliarden von 1211 auf 1717 Milliarden Euro, ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 64,2 auf 85,8 Prozent, der Anteil Staatsausgaben am Volksvermögen nahm von 52,6 auf 56,2 Prozent zu. Das öffentliche Defizit schnellte von 2,7 Prozent im Jahr 2007 auf 7,5 Prozent (2009) und ging seither nur langsam auf 5,2 Prozent (2011) zurück. Die Kaufkraft, die von 2001–2006 um jährlich 1,3 Prozent zugelegt hatte, wuchs seither um durchschnittlich nur 0,6 Prozent. Die Zahl der Arbeitslosen stieg um rund eine Million, und der Anteil der unter der Armutsgrenze (954 Euro) Lebenden vergrößerte sich leicht von 13,4 auf 13,5 Prozent. Wegen einer ungenügenden Wettbewerbsfähigkeit sank Frankreichs Exportanteil auf dem Weltmarkt von 4,1 auf 3,2 Prozent, das Handelsdefizit erreichte Ende 2011 einen Rekord von 70 Milliarden. Wie kann man es wagen, mit einer solchen Bilanz eine zweite Amtsperiode zu verlangen?

Luxusjacht statt Klosterzelle

Präsident Sarkozy hat eine Entschuldigung (oder Ausrede, je nach Standpunkt). Er musste das Land seit Ende 2008 durch die schlimmste Finanzkrise der Nachkriegszeit steuern. Und er hat den Eindruck, dass ihm das im Vergleich zu gewissen Kollegen in anderen Ländern nicht so schlecht gelungen sei. Eines müssen ihm auch seine Gegner zubilligen, er hat keine Kosten (für die Staatskasse) und persönliche Mühen gescheut und in allem, was er angepackt hat, eine beeindruckende Energie entfaltet. Da er keine Initiative und keine Entscheidung der Regierung überlassen hat, sondern an ihrer Stelle mit seinen Beratern im Elysée alles selbst beschlossen hat, kann er nun freilich auch die Verantwortung für die Misserfolge nicht auf andere abschieben.

Den schlimmsten Fehler beging Sarkozy gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft. Statt, wie zuvor versprochen, in der Abgeschiedenheit einer Klosterzelle über die ihm übertragene Aufgabe und Verantwortung zu meditieren, feierte er zuerst seinen Sieg mit seinen reichsten Gönnern im Nobelrestaurant Fouquet's und verbrachte anschließend Ferien auf der Luxusjacht des Milliardärs Vincent Bolloré. Das war noch ein Fauxpas, der sich mit einer Geschmacksentgleisung entschuldigen ließe. Anschließend aber machte Sarkozy als Erstes seinen wohlhabendsten Freunden ein riesiges Steuergeschenk. Mit der Einführung einer Höchstgrenze aller Abgaben auf 50 Prozent des Einkommens bekamen milliardenschwere Steuerzahler wie beispielsweise die L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt vom Fiskus viel Geld zurück. Diesen „Fiskalschild“ musste Sarkozy später wieder abschaffen. Als Kompensation setzte er das Mindestvermögen, auf das die „Reichtums-Solidaritätssteuer“ erhoben wird, so hoch an, dass diese jetzt sehr viel weniger Geld einbringt. So musste sich Sarkozy nicht wundern, dass er bald im Rufe stand, der „Präsident der Reichen“ zu sein.

Umgekehrt wurde sein Wahlversprechen der Kaufkraft für ihn zum Bumerang. Er hatte 2007 versichert, wer mehr arbeite, werde künftig mehr verdienen. Dazu führte er ein für die öffentlichen Finanzen kostspieliges System ein, das Überstunden für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen attraktiv machen sollte. Sein Hintergedanke war dabei, die noch in Kraft gebliebene gesetzliche Arbeitszeitregelung, die umstrittene 35-Stunden-Woche, mit einer größeren Flexibilität bis zur Bedeutungslosigkeit zu durchlöchern. Die Kaufkraft stieg in Frankreich zwar unter dem Strich durchschnittlich mit 0,6 Prozent pro Jahr. Die allermeisten Franzosen haben aber das Gefühl, dass ihre Einkommen mit der Inflation nicht mithalten, vor allem da die Mieten oder die Treibstoffpreise sehr viel schneller stiegen als die offizielle Teuerungsrate. Sarkozy ordnete an, nur einen von zwei pensionierten Staatsbeamten zu ersetzen.

Dieser Sparmaßnahme steht die Schaffung von rund 50 neuen Steuern und Abgaben gegenüber. Mit dem Mut der Verzweiflung packte er jedoch die Reform des Pensionssystems an, nachdem ein Expertenbericht darlegte, dass angesichts der demografischen Entwicklung ohne drastische Einschnitte und Änderungen die Finanzierung der Altersvorsorge nicht zu retten sei. Gegen den Widerstand der Gewerkschaften und Linksparteien konnte er aber nur eine sehr schrittweise Erhöhung des Rentenalters von 60 auf 62 durchsetzen. Wie Pensionen nach 2020 finanziert werden, ist ungewiss.

Intervention gegen Libyens Diktator

Dank EU-Ratspräsidentschaft 2008 hatte Sarkozy die Chance, die Europapolitik mit Initiativen zu bestimmen. Sein Projekt einer „Mittelmeerunion“ blieb die Totgeburt einer interessanten Idee, führte aber zu einer Verstimmung mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, die dieses unabgesprochene Vorpreschen ebenso wenig schätzte wie die Küsschen-Aufdringlichkeit des französischen Partners im persönlichen Umgang. Seine Außenpolitik ist wie der Rest von Erfolgen und Halbheiten bestimmt. So gewann er zuerst Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi als Freund und Geschäftspartner, knapp vier Jahre später lancierte er fast im Alleingang eine internationale Intervention zum Sturz des Diktators.

Letztlich hatten sich alle an diesen manchmal vorlauten französischen Präsidenten gewöhnt, der unverbrüchlich an die Bedeutung seines Landes glaubt. Diese Größe Frankreichs hat er gern mit seinem persönlichen Einfluss verwechselt.

Grafik: Die Presse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.05.2012)

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