Die Griechen müssen den Gürtel noch enger schnallen

(c) REUTERS (YANNIS BEHRAKIS)
  • Drucken

Die künftige Regierung hat keinen Spielraum, nach der Wahl in Griechenland. Sie muss die Vereinbarungen mit ihren internationalen Geldgebern erfüllen, sonst droht unweigerlich der Staatsbankrott.

Athen/C. g. Die knapp zehn Millionen Griechen, die am Sonntag ihre Stimme abgeben durften, wussten zu diesem Zeitpunkt naturgemäß noch nicht, wie die nächste Regierungskoalition aussehen würde.

Die Politik dieser Regierung – sofern sie nicht einen Ausstieg aus dem Kreditvertrag mit EU und Internationalem Währungsfonds und damit einen Staatsbankrott riskiert – kennen sie aber schon jetzt: Im „Memorandum of Understanding“ zwischen Athen und den Geldgebern ist Schritt für Schritt, Sektor für Sektor, Budgetposten für Budgetposten festgelegt, was das neue Kabinett zu tun haben wird, um die Auflagen zu erfüllen. Die Mindestlöhne in den Kollektivverträgen des privaten Sektors wurden bereits gesenkt, bis Ende Juni sind nun die Löhne von bisher privilegierten, „staatswichtigen“ öffentlichen Bediensteten an der Reihe: Richter, Polizisten und andere Berufe, die nicht in das neue, einheitliche Lohnschema für Beamte integriert wurden, müssen mit – weiteren – Lohnkürzungen von zwölf Prozent rechnen.

„Griechenland zum Protektorat machen“

Der Staat muss die rund 6,3 Mrd. Euro Schulden an seine Lieferanten zurückzahlen; er muss Zulagen für Behinderte und kinderreiche Familien streichen; er muss Steuererleichterungen abschaffen. Sollte das Budget im ersten Halbjahr überschritten werden, muss er neue Maßnahmen beschließen, um die Löcher zu stopfen. Viele glauben, dass die Gehälter im öffentlichen Sektor weiter gesenkt werden. Und er muss 50.000 Beamte noch 2012 entlassen. Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut glaubt trotzdem nicht, dass das reichen wird: Er plädierte im „Tagesspiegel“ dafür, Griechenland zu einem „europäischen Protektorat zu machen“.

Hält die künftige Regierung Wort und beginnt tatsächlich, ihre Beamten vor die Tür zu setzen – in der Vergangenheit ein Tabu –, wird es wohl sehr starke Reaktionen geben. Demonstrationen und Streiks werden an der Tagesordnung sein. Ändern wird man die Situation wohl trotzdem nicht können. Und der griechische Mittelstand wird sich an die neue Lage anpassen müssen.

Der Mittelstand, das ist alles, was zwischen den mittlerweile an die 25 Prozent Armen, die nicht mehr allein überleben können, und den etwa 20 Prozent Reichen liegt. Mittelstand, das sind abertausende Griechen, die in den vergangenen Jahrzehnten aus Athens Zentrum Richtung nördliche Vororte gezogen sind, in hellere, größere, nicht immer geschmackvollere Wohnungen oder gar Einfamilienhäuser; die sich Landhäuser zulegten, die begannen, im Ausland Urlaub zu machen. Sie hatten viele Jahre gespart, um sich und ihren Kindern die in Griechenland so wichtige Immobilie zu verschaffen: Mehr als 80 Prozent der Griechen verfügen über Eigentumswohnungen. Sie waren eine sichere Anlage in Zeiten des Immobilienbooms, ein Geschenk für Töchter, die man unter die Haube gebracht hatte, und eine willkommene Quelle von Zusatzeinkünften durch Mieten. Die einst so bewunderten Bauherren übrigens, die an der Sehnsucht der Griechen nach den eigenen vier Wänden bestens verdient hatten, sind fast alle bankrott gegangen. Der Markt ist tot.

Der Staat aber schlief nicht. Bei Ausbruch der Krise entsann er sich der Einkommen, die nur schwer zu hinterziehen sind: Löhne, Pensionen und Immobilien. Anstatt etwa die staatliche Stromgesellschaft zu privatisieren oder andere privilegierte Bereiche zu stutzen, hielt er sich an den Mittelstand: Er kürzte Löhne und Pensionen und belegte Eigentum mit hohen Sondersteuern, die er über die Stromrechnung einzog, eine Erfindung, die Evangelos Venizelos, dem jetzigen Spitzenkandidaten der sozialistischen Pasok, zu verdanken ist.

(c) DiePresse

Dem Mittelstand geht die Luft aus

Nun, im fünften Jahr der Krise, geht dem Mittelstand die Luft aus: Die niedrigen Löhne und Pensionen reichen im besten Fall für die laufenden Ausgaben, über die Sondersteuern schwinden die Ersparnisse, die in die Staatskasse fließen. Und auch die Mieteinkünfte sind zum großen Teil dahin: Die Mieter wechseln den Wohnort im Wissen, dass die Preise im Keller sind – oder sie verweigern einfach die Bezahlung mit dem Argument, dass sie nicht mehr flüssig sind.

Dahin die Tage, als sich Hochzeitsgäste genieren mussten, wenn sie ein Geschenk unter 60 Euro mitbrachten, dahin auch die üppigen Kinderpartys oder die lauten Nächte in den Bouzouki-Lokalen. Wie eine Seifenblase platzte der Traum vom Konsumparadies westeuropäischen Typs. Und die Griechen besinnen sich auf alte Werte: Am 1. Mai brach der Verkehr wie jedes Jahr zusammen. Die sonnenhungrigen Ausflügler stürzten sich aber nicht mehr auf die einst so beliebten Ausflugslokale, sondern nahmen zum Picknick auf den grünen Wiesen Attikas Platz: Butterbrot statt Steak, ist die Devise.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.