Tollkühn, realitätsfremd, lässig: Tsipras, der Anti-Politiker

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Der junge Chef der extrem linken Partei Syriza ist ein Politiker der neuen Generation. Er lehnt sich gegen das Spardiktat der ehemaligen Großparteien auf, ohne aber einen eigenen Lösungsvorschlag parat zu haben.

Wien/Athen. „Es ist ein historischer Moment für Griechenlands Linke.“ Der wichtigste Sieger der dramatischen Wahlnacht von Sonntag, nach der im griechischen Parteiensystem kein Stein auf dem anderen blieb, muss seinen Erfolg selbst erst realisieren. Am gestrigen Dienstag wurde Alexis Tsipras, Chef des radikalen Linksbündnisses Syriza, von Staatspräsident Karolos Papoulias zur Regierungsbildung beauftragt. Seine Partei hatte einen historischen Sprung von 4,6 auf 16,8Prozent der Stimmen erlangt und damit sogar die sozialistische Pasok überholt.

Tsipras ist zwar erst 37 Jahre alt, aber im politischen Geschäft bereits ein alter Hase: In seiner Schulzeit engagierte er sich in der Kommunistischen Jugend und nahm von 1990 bis 1991 an Schülerprotesten teil, die sich gegen die Bewilligung privater Universitäten im Land richteten. Schon damals suchte der gebürtige Athener die Öffentlichkeit; rief Schüler im Fernsehen dazu auf, dem Unterricht fernzubleiben.

Auch während seiner Studienzeit – Tsipras inskribierte Ingenieurwesen an der Technischen Universität Athen – blieb der energische junge Mann politisch aktiv. Ende der 1990er-Jahre wurde er Sekretär der Jugendorganisation Synaspismos. Kurz vor den griechischen Parlamentswahlen 2004 schloss sich das Bündnis mit acht anderen linken Parteien und Organisationen zusammen: Das war die Geburtsstunde der heutigen Syriza, zu dessen Vorsitzenden Tsipras im Februar 2008 gewählt wurde.

Der jüngste Parteichef Griechenlands verkörpert mit seinem lässigen Stil und seiner gewollt herablassenden, oft auch verletzenden Art – die Chefs der konservativen ND und der Pasok bezeichnete er als „Gauner“ – einen neuen Politikertypus. Besonders unter jungen Griechen hat Tsipras zahlreiche Anhänger: Mit ihm können sie sich besser identifizieren als mit steifen Schlipsträgern wie dem Chef der technokratischen Übergangsregierung, Lukas Papademos.

Dennoch: Tsipras ist und bleibt ein Populist, ein typischer Protestpolitiker. Wie er sich die Zukunft seines Heimatlandes vorstellt, bleibt bisher vielen ein Rätsel. Gerne liebäugelt er mit den Kommunisten, die aber erklärte EU- und Eurogegner sind. So weit will Tsipras (noch) nicht gehen: Nach seinem Willen soll Griechenland in der Eurozone bleiben. Am gestrigen Dienstag erklärte er jedoch die Zusagen Athens zum milliardenschweren Rettungspaket für nichtig. Der 37-Jährige weiß genau: Die harten Sparmaßnahmen der Regierung – Voraussetzung für die Freigabe der internationalen Hilfsgelder – haben die Wähler in Scharen in seine Hände getrieben. Er würde sie bitter enttäuschen, würde er nun einer Regierung mit den beiden ehemaligen Großparteien ND und Pasok zustimmen, die das Sparpaket billigen. Schon vor Wochen donnerte er in Anspielung auf das federführend von Deutschland verordnete Spardiktat: „Wir sind keine deutsche Kolonie!“

Drei Tage für Regierungsbildung

Nun hat Tsipras genau 72 Stunden Zeit zu sondieren, ob er eine Mehrheit im Parlament bekommen kann. Der energische junge Parteichef gibt sich kämpferisch: „Mit der Rückendeckung des Volkes“ wolle er „den für unser Land vorgezeichneten Weg in die Armut stoppen“. Dass eine Umsetzung seines ehrgeizigen Programms – Tsipras fordert unter anderem die Erhöhung der Pensionen und die Verstaatlichung aller Banken – ohne weitere Hilfe der internationalen Geldgeber gelingen könnte, ist indessen völlig realitätsfremd. Zumindest eines hat der junge Syriza-Chef also mit anderen Politikern dieser Welt gemein: Von seinen Wahlversprechen wird am Ende wenig bleiben.

Auf einen Blick

Die Wahlen in Frankreich und Griechenland schlagen auf die europäische Debatte durch. Das Argument, die Staaten müssten zur Beendigung der Rezession mehr Geld ausgeben, gewinnt an Rückhalt. Am 23.Mai werden die 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel beraten, wie sie die Wirtschaft zum Wachsen bringen können. Das wird zugleich der erste EU-Auftritt des neuen französischen Präsidenten François Hollande.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.05.2012)

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