Iran: Atombomben-Netzwerk aufgedeckt?

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Die Volksmudjaheddin wollen die Struktur des geheimen Militärprogramms der Mullahs enthüllt haben. Sie nennen Namen und Adressen. Die Atombehörde in Wien schweigt dazu.

Wien. Die Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien blieb versiegelt. Ihre Mitarbeiter wollten nicht einmal darüber Auskunft geben, ob sie Post von der iranischen Opposition erhalten hatten. Vom brisanten Inhalt des Schreibens ganz zu schweigen. „Wir sind zur Vertraulichkeit verpflichtet“, teilte Gill Tudor, die Leiterin der IAEA-Medienstelle, freundlich aber knapp auf Anfrage der „Presse“ mit.

Die Informationen der Volksmudjaheddin (Mudjaheddine Khalq) haben es in sich: Eigenen Angaben zufolge enthüllt die Oppositionsgruppe das geheime Netzwerk, mit dem das iranische Regime den Bau von Atombomben vorantreibt. Sie identifiziert mehr als 60 iranische Nuklearexperten, die in insgesamt elf verschiedenen Behörden an dem Projekt beteiligt sein sollen. Teheran habe die Organisationsstrukturen, die dem Bau einer Atombombe dienten, ausgebaut, heißt es in dem Bericht, der zunächst der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ zugespielt wurde und nun auch der „Presse“ vorliegt.

Einheit für Atombombenbau?

Die Volksmudjaheddin sind umstritten. Die Bewegung ist autoritär geführt und greift zu terroristischen Mitteln. Die Informationen jedoch, die sie angeblich mit Hilfe ihrer Quellen im Iran sammeln, haben sich immer wieder auch als richtig herausgestellt. Es waren die Volksmudjaheddin, die im August 2002 die Existenz der zwei geheimen iranischen Nuklearanlagen in Natanz und Arak enthüllten.

Ob ihre Hinweise auch diesmal stimmen? Der Atomexperte Emanuele Ottolenghi, der sich aktiv gegen das iranische Programm einsetzt, denkt schon: Die Details fügten sich ein in den Annex, in dem sich die Atomenergiebehörde in ihrem Bericht aus dem November 2011 mit iranischen Bemühungen auseinandergesetzt habe, nukleare Waffenfähigkeit zu erreichen, erklärt der italienische Politologe.

Da wie dort spiele die „Neue Verteidigungsforschungsorganisation“ (Sazemane Pazhouheshhaye Novine Defaee – SPND) eine zentrale Rolle. Diese Einheit sei gebildet worden, um den Bau einer Atombombe zu koordinieren, behaupten die Volksmudjaheddin. Die SPND operiere als „unabhängige Entität“ im iranischen Verteidigungsministerium. Ihr Leiter heiße Mohsen Fakrizadeh Mahabadi. Der Revolutionsgardist berichte direkt an den stellvertretenden iranischen Verteidigungsminister Ahmad Vahid Dastjerdi.

Tarnfirmen identifiziert

Das Hauptquartier der Schaltstelle des Atomwaffenprogramms befinde sich in der Malek Ashtar Universität in der Region Lavizan. An dieser 1986 gegründeten Technischen Uni soll auch der Atomphysiker Schahram Amiri gearbeitet haben, der im Sommer 2009 während einer Pilgerreise nach Mekka verschwand und dann angeblich in den USA untergetaucht ist.

In ihrem Bericht liefern die Volksmudjaheddin ein komplettes Organigramm der geheimnisumwitterten SPND. Die Atombomben-Agentur sei in sieben Sektionen unterteilt. Eine sei mit der Anreicherung von Uran beschäftigt; die zweite mit der Produktion von Metallen, die man für Atomsprengköpfe brauche; die dritte kümmere sich um die Formung dieser Metalle; eine vierte Einheit stelle Zünder her; eine fünfte experimentiere mit chemischen Materialen; eine sechste leiste elektronische Vorarbeiten; eine siebente konzentriere sich auf Lasertechnologie.

Die Volksmudjaheddin nennen die Standorte der Zentren und auch deren Tarnfirmen. Insgesamt identifizieren sie mehr als 60 iranische Wissenschaftler, die an dem Projekt beteiligt sein sollen. Noch ist nicht geklärt, ob die Hinweise zutreffen. Möglich erscheint auch, dass sie von Nachrichtendiensten stammen und die Volksmudjaheddin nur als Sprachrohr agieren.

Die Darstellungen widersprechen jedenfalls der Einschätzung der US-Geheimdienste, wonach der Iran den militärischen Teil seines Atomprogramms 2003 auf Eis gelegt habe. Und sie strafen auch die Beteuerungen der iranischen Führung Lüge, schon allein aus religiösen Gründen nicht an der Entwicklung einer Atombombe zu arbeiten.

Der Zeitpunkt ist heikel. Die Volksmudjaheddin versuchen offenbar, die Verhandlungen zwischen dem Iran und der internationalen Gemeinschaft zu torpedieren. Am 23.Mai soll in Bagdad die nächste Runde stattfinden. Vorbereitende Gespräche wollen Unterhändler bereits am Montag und Dienstag führen. In Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2012)

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