Deutschland: "Mutti" Merkel allein zu Haus

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Das Debakel der Union im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen bildet den vorläufigen Höhepunkt einer rabenschwarzen Serie für die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Um die CDU-Chefin wird es einsam.

Berlin. Am Tag nach dem Absturz gab sich die CDU-Spitze alle Mühe, das Debakel von CDU-Spitzenkandidat Norbert Rötttgen als regionalen Betriebsunfall herunterzuspielen. Die Union habe an Rhein und Ruhr eine „bittere und schmerzhafte Niederlage“ kassiert, räumte Angela Merkel gestern ein, um dann gleich die Gewichte zurechtzurücken. Es sei eine „regionale Entscheidung“ gefallen, betonte die Parteichefin.

Mit ähnlichen Worten hatte sie sich schon Ende vergangener Woche vom Unglücksraben Röttgen abgesetzt, der bei der „kleinen Bundestagswahl“ im bevölkerungsreichsten Bundesland in die erwartete Niederlage stolperte. „Die Arbeit in Europa ist dadurch überhaupt nicht infrage gestellt.“ Punkt. Den Rest durfte ihr sichtlich angeschlagener Umweltminister Röttgen auf sich nehmen, dessen katastrophale Fehler die Christdemokraten seit Wochen genervt hatten. Der Mann aus Meckenheim, der schon den Start verstolpert hatte, weil er ein klares Signal für Düsseldorf scheute, streute erneut Asche auf sein Haupt und übernahm die Hauptverantwortung für die „flächendeckende und umfassende Niederlage“. Als Bundesumweltminister soll Röttgen aber nicht abgelöst werden – „als solcher hat er wichtige Aufgaben zu erfüllen“, wie es gestern ein Regierungssprecher formulierte.

Lauter Hiobsbotschaften

Der Versuch, eine Brandmauer zwischen die Union und „Muttis Klügsten“ zu ziehen, zog den Hohn der Opposition nach sich. „Um Merkel wird es einsam“, höhnten die Sozialdemokraten. Denn die letzten zehn Tag brachten für Merkel eine Hiobsbotschaft nach der anderen. In Paris kippte ihr wichtigster europapolitischer Partner Nicolas Sarkozy. In Griechenland regiert das Chaos. Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein verlor die Union trotz eines hauchdünnen Wahlsiegs einen weiteren Ministerpräsident. Und im Westen konnte die rot-grüne Minderheitsregierung von Hannelore Kraft einen Triumph feiern, obwohl Röttgen mit Merkel'scher Sparpolitik auf Wählerfang ging.

Für Schwarz-Gelb war es die elfte Niederlage in Folge, wie die SPD genüsslich vorrechnet, und diesmal brachen nicht die Freidemokraten ein, die sich stabilisierten, sondern die größte Regierungspartei selbst. Und zu allem Übel streiten sich CDU und CSU um das Betreuungsgeld, ein Prestigeprojekt der bayerischen Schwester. Zudem wurde mit Röttgen der Hauptprotagonist einer Annäherung zwischen Union und Grünen abgestraft, Merkels Reserve-Machtoption für den Fall, dass eine bürgerliche Koalition mit der FDP nicht mehr reicht.

Der smarte Umweltminister galt als Exponent einer modernisierten Union. Das wird die Konservativen in der CDU erneut gegen die von Merkel betriebene „Sozialdemokratisierung“ in Stellung bringen, wie einzelne Zwischenrufe bereits zeigten. Und die beiden Landtagswahlen könnten das Verhältnis zum Koalitionspartner FDP erneut belasten. Die beiden „Retter“ der FDP in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Kubicki und Christian Lindner, stehen beide für eine Öffnung zur SPD, um sich aus der babylonischen Gefangenschaft der CDU zu befreien. Das könnte neue Konflikte in die Regierung tragen.

Freude im Willy-Brandt-Haus

Im Willy-Brandt-Haus wird die NRW-Wahl als klare Bestätigung rot-grüner Perspektiven begriffen. Die SPD strotzt vor Kraft. Bei den Verhandlungen über den Fiskalpakt wollen die Genossen die neuen Muskeln spielen lassen und der Regierungschefin Zugeständnisse abnötigen, zum Beispiel einen Wachstumspakt. Merkel braucht die Opposition für eine Zweidrittelmehrheit, SPD-Chef Sigmar Gabriel machte klar, dass die Zustimmung auf keinen Fall zum Nulltarif zu haben ist. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles rief gestern bereits die Merkel-Dämmerung aus – mit Blick auf die Bundestagswahl 2013. „Es bewegt sich etwas in unsere Richtung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2012)

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