Auch wenn nicht klar ist, ob islamistische Terroristen tatsächlich den blutigen Anschlag in der Vorwoche verübten. Es mehren sich die Hinweise, dass das Terrornetzwerk immer stärker bei den Kämpfen in Syrien mitmischt.
Hamburg/Damaskus/Beirut. Am Anfang schien alles klar: Ein schwerer Anschlag in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehr als 70 Toten, zwei Tage später kam das Bekennerschreiben einer sunnitischen Extremistengruppe. Ein weiteres, blutiges Kapitel im syrischen Bürgerkrieg.
Mittlerweile stellt sich die Sache jedoch anders dar, denn am Dienstag hat die Gruppe al-Nusra-Front drei Tage nach dessen Veröffentlichung plötzlich dementiert, dass das Schreiben von ihr stammt: Sie habe mit dem Anschlag auf die zwei Geheimdienstgebäude nichts zu tun, hieß es in der Botschaft, die in einem islamistischen Internetforum veröffentlicht wurde.
Nach einem im Irak verbreiteten Muster hatten die Täter zwei Sprengsätze hintereinander gezündet: Die Wucht der zweiten Explosion war noch kilometerweit zu spüren, berichtet die Oppositionelle Zaina: „Ich dachte zuerst, es sei ganz in der Nähe gewesen. Als ich zum Fenster stürzte, sah ich aus zwölf Kilometer Entfernung Rauchsäulen aufsteigen.“ Die Gebäude liegen an einer dicht befahrenen Straße in der Nähe des Stadtzentrums, dort, wo viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit waren und Kinder auf ihrem Schulweg vorbeimussten. Die erste Explosion hatte Passanten angelockt, die helfen wollten. Die zweite, die ebenfalls von einem Selbstmordattentäter in einem Auto verursacht wurde, riss viele von ihnen in den Tod. Zusätzlich zu den vielen Toten gab es auch etwa 400 Verletzte.
Leichenteile in Plastiksäcken
Das staatliche syrische Fernsehen zeigte in Plastiksäcken eingesammelte menschliche Körperteile und beschuldigte die Opposition, das Attentat begangen zu haben. Susan Ahmed, eine Aktivistin des Syrischen Revolutionären Komitees, wies diese Vermutung entschieden zurück: „Wahrscheinlich hat das Regime von Präsident Bashar al-Assad das selbst inszeniert, um eine Rechtfertigung zu haben, brutaler gegen uns vorgehen zu können.“ Sie sei selbst ein paar Stunden später am Tatort gewesen und hätte kaum noch Spuren entdeckt. „Ein bisschen Glas von den Fensterscheiben lag noch dort, aber die meisten der angeblichen Spuren hatte man schon weggewaschen.“ Wahrscheinlich, meint sie, waren die meisten Opfer schon vorher tot – Oppositionelle, deren Leichen sich das Regime entledigen wollte.
Der Aufstand gegen das Assad-Regime dauert mittlerweile 15Monate an, etwa 10.000 Menschen sind bisher umgekommen, tausende sind inhaftiert, wurden gefoltert. Was mit friedlichen Demonstrationen gegen die 40-jährige Herrschaft des Assad-Clans begonnen hat, wächst sich immer mehr zu einem Bürgerkrieg aus, bei dem die Fronten immer unübersichtlicher werden. Bis zu 500 Gruppen sind schätzungsweise in Syrien aktiv. Eine davon nennt die syrische Regierung immer wieder: al-Qaida.
Jihadisten kehrten aus dem Irak zurück
Seit dem jüngsten Attentat kocht die Frage nach einer Präsenz der Terrorgruppe immer wieder hoch. Im Februar hatte al-Qaida-Chef Ayman al-Zawahiri gesagt, er sei an der Seite der Aufständischen. Das haben die Aufständischen scharf zurückgewiesen. Aktivistin Susan Ahmad erklärte sogar, al-Qaida sei auf keinen Fall in Syrien präsent.
Je tiefer das Land im Bürgerkrieg versinkt, desto mehr Menschen versuchen zu fliehen. Wie in den anderen Nachbarländern haben sich viele Oppositionelle und Flüchtlinge auch im Libanon niedergelassen. In einem schäbigen Hinterhof in der Nähe der Stadt Tripoli harrt der verletzte Omar aus, ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee. Der 28-Jährige hinkt, er wurde in der Oppositionellenhochburg Homs angeschossen. Schon Mitte 2011 wurde er von einem der 18 syrischen Geheimdienste festgenommen und gefoltert, da er ein Plakat von Assad abgerissen hatte.
Während er die Narben an Knöchel und Rücken zeigt, wo er mit einem Bohrer gequält wurde, lässt er einen Satz fallen, der stutzig macht: „Die sind schlimmer als die Amerikaner im Irak.“ Offensichtlich war Omar im Irak, bevor er sich am Aufstand beteiligte. Tatsächlich sind während des irakischen Aufstands gegen die US-Präsenz hunderte Syrer in das angrenzende Land gezogen, um aus religiösen Gründen die USA zu bekämpfen – teilweise von ihrer Regierung gesponsert. Dieses Know-how brachten die „Heiligen Krieger“ zurück nach Syrien, jetzt nutzen sie es gegen das Assad-Regime.
Zu riskant, Verwundete zu behandeln
Doch es gibt noch eine dunklere Seite. Abdullah, der in Beirut für die Aufständischen tätig ist, saß wegen politischer Aktivitäten jahrelang im berüchtigten syrischen Sednaya-Gefängnis ein. „Ich habe dort etwa 180 al-Qaida Mitglieder getroffen“, sagt er. Darunter drei Dutzend binationale wie den Deutsch-Syrer Muhammed Haidar Zammar und etwa 150 arabische al-Qaida-Gefolgsleute. Im Januar 2011 entließ das Regime überraschend viele dieser Terroristen. Abullah vermutet, dass Assad damit den Arabischen Frühling sabotieren wollte. Stattdessen seien die Kämpfer im Land geblieben und hätten sich gegen das Regime gewendet.
Auch die Aktivistin Zaina bestätigt, dass al-Qaida-Terroristen einfach entlassen wurden: „Ich habe viele Gruppen der Freien Syrischen Armee kennengelernt. Mittlerweile ist jede Gruppierung dort vertreten.“ Doch sie glaubt, dass es eine Gruppierung innerhalb des Regimes war, die für den jüngsten Anschlag verantwortlich ist. Assad habe die Lage längst nicht mehr unter Kontrolle. Sein Regime zerfalle immer weiter, die einzelnen Gruppierungen griffen zu immer verzweifelteren Mitteln, um die Macht zu behalten.
Und für die Menschen, die dabei ins Visier der einen oder anderen Seite geraten, wird es immer schwieriger, medizinische Hilfe zu erhalten, wie ein Chirurg und ein Anästhesist der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ berichteten, die rund um die Stadt Idlib im Einsatz waren: Auch Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen würden zum Ziel von Angriffen werden, berichteten sie nach ihrer Rückkehr. Lokale Ärzte hätten zudem große Angst vor Verfolgung und würden daher nur im äußersten Notfall Erste Hilfe leisten: „Sie haben uns gesagt, dass das Risiko, Verwundete zu behandeln, zu groß ist.“
Auf einen Blick
Der Aufstand gegen das Regime von Syriens Präsidenten Bashar al-Assad begann Mitte März in der Stadt Deraa im Süden des Landes. Zunächst waren es vor allem friedliche Demonstrationen in Provinzstädten. Je härter das Regime dagegen vorging, desto mehr griffen auch die Oppositionellen zu den Waffen. Bisher dürften in dem Konflikt rund 10.000 Menschen ums Leben gekommen sein.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2012)