Nato ringt um gemeinsamen Abzug aus Afghanistan

USA 2012 NATO SUMMIT
USA 2012 NATO SUMMIT(c) EPA (Yoan Valat / Pool)
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Die Nato sollte eigentlich geschlossen den Kampfeinsatz in Afghanistan beenden. Frankreich will seine Truppen aber schon vorzeitig abziehen.

Die Nato hält trotz des beschleunigten Abzugs französischer Truppen aus Afghanistan an ihrem Zeitplan für das Ende des Kampfeinsatzes 2014 fest. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erklärte beim Gipfel des Militärbündnisses am Sonntag (Ortszeit) in Chicago, Strategie, Ziel und Zeitplan für die ISAF-Truppen seien unverändert. Frankreich sagte allerdings, es werde seine Kampftruppen Ende des Jahres abziehen. Die Nato-Staaten erklärten inzwischen den seit langem in Entwicklung befindlichen Raketenschild gegen Angriffe auf Europa für teilweise einsatzbereit.

Frankreichs Präsident Francois Hollande erklärte, es gebe eine Verständigung über einen früheren Rückzug Frankreichs: "Die französischen Kampftruppen werden aus Afghanistan bis Ende des Jahres abgezogen." Ausbilder für einheimische Sicherheitskräfte blieben aber noch dort. Derzeit sind 3300 Franzosen am Hindukusch stationiert.

ISAF-Truppen in Afghanistan
ISAF-Truppen in Afghanistan

Nato-Generalsekretär Rasmussen wies darauf hin, dass Hollande trotz des Abzugs eine weitere Unterstützung für den Einsatz zugesagt habe. Damit könnte sich eine Lösung abzeichnen wie im Falle Kanadas, das seine Aufgaben weitgehend auf die Ausbildung afghanischer Kräfte begrenzt hat. "Ich bin zuversichtlich, dass wir die Solidarität in unserer Koalition bewahren werden", sagte Rasmussen.

Auch US-Präsident Barack Obama beschwor den Zusammenhalt: "So wie wir zusammen Opfer gebracht haben für unsere gemeinsame Sicherheit, werden wir entschlossen zusammenstehen, diese Aufgabe zu beenden." Zum schrittweisen Abzug sagte Obama, die Verbündeten wollten am Montag eine Vision entwerfen, "in der wir unsere Kampfrolle beenden, der Krieg ... vorbei ist, aber unsere Zusage der Freundschaft und Partnerschaft mit Afghanistan fortbesteht".

Deutschland gegen Alleingang Frankreichs

Die deutsche Regierung ermahnte Hollande, am bisherigen Plan festzuhalten. "Wir sind gemeinsam nach Afghanistan gegangen und wir wollen auch wieder gemeinsam aus Afghanistan abziehen," betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Westerwelle warnte: "Ein Abzugswettlauf der westlichen Demokratien aus innenpolitischen Gründen, das würde die Terrorismusbekämpfung nicht stärken, sondern schwächen." Merkel deutete zugleich eine Kompromisslinie an. "Für uns wäre wünschenswert, dass Frankreich auch im ISAF-Verbund mit dabei bleibt", sagte Merkel. Verteidigungsminister Thomas de Maiziere bestätigte in Chicago, dass es darüber bereits Gespräche gibt.

Außer über den Abzugsplan sollen die Chefs der 28 Nato-Staaten und die 22 ISAF-Partnerländer am Montag auch darüber beraten, wie die afghanischen Sicherheitskräfte ab 2015 finanziert werden sollen. Die afghanische Armee soll schon ab Mitte 2013 die volle Verantwortung für die Sicherheit übernehmen. Gleichzeitig soll bis Ende 2014 die Truppe von derzeit insgesamt 130.000 Soldaten stark verringert werden. Ab 2015 will sich die Nato auf eine Rolle als Ausbilder und Berater von Armee und Polizei beschränken. Auf Vorschlag der USA sollen dann jährlich 4,1 Milliarden Dollar an internationalen Geldern an die afghanische Regierung fließen. Doch Rasmussen sagte, ob diese Summe erreicht werde, könne in Chicago noch nicht gesagt werden. "Man kann keine genauen Zahlen erwarten, aber wir sind auf dem richtigen Weg", sagte er. Auch Österreich nimmt als einer von 49 Staaten an dem Gipfel teil.

Pakistan will Wiedergutmachung von den USA

Der Nachbarstaat Afghanistans drängte die USA inzwischen zur Einschränkung seiner Militäraktionen. Pakistans Präsident Asif Ali Zardari forderte eine "permanente Lösung" der Frage der US-Drohnenangriffe in seinem Land. Zardari habe darauf hingewiesen, dass die US-Schläge gegen Islamisten im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet eine "Verletzung unserer Souveränität" darstellen würden, zudem sagte er, der Tod von Zivilisten habe die öffentliche Meinung in Pakistan aufgeheizt, sagte ein Sprecher. Pakistan habe US-Außenministerin Hillary Clinton bei einem Treffen am Sonntag aufgefordert, mehr zur Wiedergutmachung eines Vorfalls im vergangenen November zu tun, bei dem 24 pakistanische Soldaten von einer US-Drohne getötet wurden. Die USA haben ihr Vorgehen als tragisches Versehen bezeichnet.

Europas Raketenschild teilweise einsatzbereit

Unterdessen teilten die Nato-Staaten mit, der neue Raketenschild für Europa sei teilweise einsatzbereit. Unmittelbar danach versicherte NATO-Generalsekretär Rasmussen, die Nato wolle den Dialog mit Russland über die von Moskau strikt abgelehnte Abwehr fortsetzen. "Wir haben Russland zur Zusammenarbeit eingeladen. Und diese Einladung gilt immer noch." Die Raketenabwehr soll etwa im Jahr 2020 voll einsatzbereit sein. Sie ist nach Nato-Angaben gegen eine Bedrohung durch "Schurkenstaaten" gerichtet, beispielsweise den Iran. Russland fürchtet eine Entwertung der eigenen Atomwaffen.

Russland hatte wenige Stunden vor dem Beschluss über die Raketenabwehr erneut seine Bedenken deutlich gemacht. Vize-Verteidigungsminister Anatoli Antonow sagte in Moskau, die Raketenabwehr könne das strategische Gleichgewicht stören. Die Raketenabwehr beruht auf der Verbindung von Radarstationen und Abfangraketen zu Lande und zu Wasser. Rasmussen sagte: "Es gibt eine reale Bedrohung, und dagegen brauchen wir eine reale Verteidigung. Und natürlich kann Russland das nicht blockieren." Er fügte hinzu: "Ich hoffe, dass Russland zu einem bestimmten Zeitpunkt verstehen wird, dass eine Zusammenarbeit in unserem gemeinsamen Interesse ist."

Der Nato-Gipfel beschloss auch die Anschaffung eines neuen Systems zur Bodenüberwachung durch fünf unbemannte Flugzeuge vom Typ Global Hawk des US-Herstellers Northrop Grumman. Sie sollen ab 2016 in Sigonella (Sizilien) stationiert werden. Die Drohnen können 32 Stunden in einer Höhe von 18 Kilometern fliegen und sogar einzelne Menschen beobachten. Alleine die Anschaffung der Flugzeuge durch 13 Staaten kostet eine Milliarde Euro.

Sparprogramm "Smart Defence"

Angesichts knapper Kassen vereinbarte die Nato-Gipfelrunde auch ein "robustes Paket" von mehr als 20 gemeinsamen Projekten. "Sie werden militärische Fähigkeiten, die wir brauchen, zu einem Preis schaffen, den wir uns leisten können", sagte Rasmussen. "Smart Defence" (Kluge Verteidigung) werde "die neue Art und Weise sein, in der die Nato künftig arbeitet". Dazu gehört auch die Verlängerung der Patrouillenflüge von Nato-Luftwaffen zur Kontrolle des Luftraums der drei baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland.

Atomwaffen als "Kernkomponente"

Der Gipfel beschloss auch eine Erklärung über die Notwendigkeit von Atomwaffen. Darin werden Atomwaffen als "Kernkomponente" der Abschreckung der Nato bezeichnet. Zu den in Europa stationierten taktischen Atomwaffen der USA sichert die Erklärung den betroffenen Bündnispartnern eine Beteiligung an Entscheidungen für den Fall von Reduzierungen zu. Auf französischen Wunsch wird betont, die Raketenabwehr könne Nuklearwaffen nicht ersetzen.

In der internationalen Debatte um den laufenden Syrien-Konflikt zeigte sich keine neue Entwicklung ab. Rasmussen sagte, er sehe "keine Absicht" des Militärbündnisses, in den Konflikt in Syrien militärisch einzugreifen. "Wir sind sehr besorgt über die Lage in Syrien", aber die Nato "hat nicht vor zu intervenieren", so der Nato-Generalsekretär.

Verletzte bei Demonstrationen

Am Rande des Gipfels kam es in Chicago zu Großdemonstrationen gegen die Nato. Viele Tausend Menschen verstammelten sich am Sonntag im Zentrum der Millionenstadt, um gegen Krieg und Nato-Politik zu protestieren. Das Motto der verschiedensten Protestgruppen mit Hunderten Plakaten und US-Flaggen: "Sagt Nein zur Nato-Agenda von Krieg und Armut!" Während der mehrstündige Protestzug zunächst friedlich verlief, kam es nach dem offiziellen Ende der Aktion zu Zusammenstößen mit der Polizei. Es habe 60 Festnahmen und ein Dutzend Verletzte gegeben, meldeten lokale Medien.

(Ag. )

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