Gipfel in Chicago: Hollande irritiert Nato-Verbündete

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Die Nato schwört sich darauf ein, Afghanistan auch nach dem Abzug 2014 nicht im Stich zu lassen. Doch Frankreich geht seinen eigenen Weg.

[Chicago] Gemeinsam winkten sie freundlich für das Gruppenfoto in Chicago. Doch hinter den Kulissen des Nato-Gipfels brachen unter den angereisten Staats- und Regierungschefs Konflikte um den Einsatz in Afghanistan auf. Für Unruhe sorgt der Neue in der Runde: Frankreichs Präsident François Hollande bekräftige sein Wahlkampfversprechen, die 3300 französischen Soldaten nicht erst Ende 2014, sondern schon heuer aus Afghanistan abzuziehen. Frankreich habe eine Vereinbarung getroffen, mit der auch Kabul einverstanden sei, erklärte Hollande in Chicago.

Letztlich machten alle gute Miene zu dem Kompromiss, dass nach dem vorzeitigen Abzug der französischen Kampftruppen immerhin Ausbilder für die afghanischen Streitkräfte im Land verbleiben. Auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel stellte ihre anfängliche Kritik zurück. Es gebe zwar Unterschiede zwischen ihr und Hollande. Doch sie habe bei dem französischen Präsidenten den Geist gespürt, vernünftige Lösungen zu finden. Sie sehe keinen Abzugswettlauf aus Afghanistan, erklärte Merkel. Auch Außenminister Westerwelle schraubte seine Vorwürfe zurück.

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und Gastgeber Barack Obama versuchten Optimismus zu verbreiten. „Unser Ziel bleibt ein sicheres und demokratisches Afghanistan in einem stabilen Umfeld", sagte Rasmussen. Und der US-Präsident wies auf Fortschritte im Kampf gegen die Taliban und beim Aufbau afghanischer Truppen hin.

4,1 Milliarden Dollar für Kabul

Der Fahrplan steht: Schon jetzt, sechs Wochen vor der Zeit, hat die afghanische Armee 195.000 Soldaten unter Waffen. Nun soll sie in einer Provinz nach der anderen das Kommando übernehmen. Nächstes Jahr werden die internationalen Isaf-Truppen - die derzeit 130.000 Soldaten, darunter 100.000 amerikanische, umfassen - noch in Afghanistan bleiben, aber bereits im Hintergrund agieren. Bis Dezember 2014 sollen die Kampfeinheiten komplett abgezogen sein.

Doch auch danach will die Nato Afghanistan nicht im Stich lassen. Und darum geht es in Chicago. Es soll verhindert werden, dass die radikalen Taliban wieder die Macht übernehmen und Terroristen Unterschlupf gewähren.
Obama schloss am 1. Mai in Kabul ein Partnerschaftsabkommen mit Afghanistans Staatschef Karzai. Darin versprechen die USA, die afghanischen Streitkräfte auch nach 2014 mit Rat, Rüstung und Geld zu unterstützen. Und in diesen Rahmen wollen die Amerikaner auch andere Staaten einbinden. Mit 4,1 Milliarden Dollar pro Jahr soll Afghanistans Sicherheitsapparat aufgepäppelt werden.

Schon vor dem Gipfel gingen die Amerikaner mit dem Klingelbeutel durch die Welt. Doch nicht alle zuckten die Börse so schnell wie Österreichs Regierung. „Das ist keine Geldeintreibungskonferenz. Erwarten Sie nicht, dass der Betrag schon in Chicago zusammenkommt", wiegelte Rasmussen ab.

Grünes Licht für Raketenabwehr

Klare Kante zeigte der Däne beim Raketenabwehrschild, für dessen erste Aktivierungsphase die Nato in Chicago grünes Licht gab. Russland könne sich beteiligen, doch es sei Sache der Nato, ihre Bevölkerung zu schützen. „Russland kann das nicht blockieren." Hollande schlug auch da andere Töne an: Der Dialog mit Moskau sei unerlässlich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22. Mai 2012)

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