Merkels Meuchelmord: Was Röttgens Rauswurf bedeutet

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Deutschlands Kanzlerin Merkel feuerte letzte Woche Norbert Röttgen. Mit einem angeschlagenen Umweltminister hätte der mit dem Atomausstieg eingeläuteten heiklen Energiewende der politische Super-GAU gedroht.

Berlin. Eine Minute und 39 Sekunden: So schnell kann aus einem der wichtigsten politischen Hoffnungsträger Deutschlands eine Karriereleiche werden. Nicht länger brauchte nämlich Kanzlerin Angela Merkel vergangene Woche, um einer erstaunten Öffentlichkeit zu verkünden, dass sie ihren Umweltminister Norbert Röttgen feuert.

Das sorgte auch in den eigenen Reihen für Bestürzung. Sicher, Röttgen hatte im Wahlkampf um Nordrhein-Westfalen kapitale Fehler gemacht: Er hielt sich die Hintertür einer Rückkehr nach Berlin offen, ganz im Gegensatz zu Merkels Auftrag. Er fand keinen Draht zu den Bürgern und brüskierte schließlich noch seine Chefin, indem er das drohende und prompt eintretende Debakel mit der Europolitik der Regierung in Verbindung brachte.

Aber ein so eiskalter Rausschmiss für einen eben noch hoch gelobten Minister, ist das noch „christlichsozial“? „Eine Partei hat auch eine Seele“, stöhnt Fraktionskollege Wolfgang Bosbach laut und vernehmlich. Röttgen hätte eine „zweite Chance verdient“ – wie Norbert Blüm. Auch der hatte 1990 eine NRW-Niederlage zu verantworten, durfte aber Arbeitsminister bleiben. Dass Röttgen nun „in die Wüste geschickt“ wird, entspreche nicht seinen „Vorstellungen, wie man miteinander umgeht“, rügt der Altpolitiker die Parteichefin.

Leichen pflastern ihren Weg

So überraschend kam der Rauswurf freilich nicht. Ehrgeizige Männer, die nicht ihren Vorgaben folgen und ihr gefährlich werden könnten, haben sich im Umfeld der Kanzlerin nie lange halten können. Koch, Merz, Rüttgers, von Beust, Guttenberg, Wulff: Auf die eine oder andere Weise kippten alle männlichen Kronprinzen vorzeitig von der Bühne.

Nur der offene Rausschmiss ist wirklich neu – und Röttgens standhafter Weigerung zu verdanken, von sich aus das Handtuch zu werfen. Dazu kam der Druck aus Bayern: Für die CSU war der Modernisierer immer zu ökologisch angehaucht. Horst Seehofers Brandrede gegen den Wahlverlierer am Beginn der vorigen Woche präludierte denn auch dessen Entlassung. Nun steht Merkel völlig unangefochten, aber auch ziemlich einsam an der Spitze. Und die Frage nach ihrer Nachfolge, die sich früher oder später einmal stellen wird, ist ungelöster denn je.

Die offizielle Lesart, die auch Merkel-treue Minister wie Wolfgang Schäuble und Ursula von der Leyen vertreten, klingt freilich anders – und auch sie hat einiges für sich: Die mit dem Atomausstieg eingeläutete Energiewende ist das wichtigste und heikelste Projekt der schwarz-gelben Regierung, und dafür braucht es einen voll handlungsfähigen Politiker. Der Umstieg auf erneuerbare Energien muss zu vertretbaren Kosten für Verbraucher und Industrie gelingen. Sonst drohen Blackouts, eine nicht mehr wettbewerbsfähige Wirtschaft und zornige Bürger.

Damit die letzten Atomkraftwerke 2021 vom Netz gehen können, sind aber wirtschaftspolitisch zweifelhafte Mittel vonnöten: Mit immer neuen Subventionen werden kleine Solarstromhersteller und große Energiekonzerne bei Laune gehalten. Jetzt kommen auch noch Förderungen für neue Gaskraftwerke zur Überbrückung dazu. Wirtschaftsflügel und Regionalpolitiker sind sich auch innerhalb der CDU alles andere als einig, wie weit diese Planwirtschaft gehen darf.

Die Zeit wird knapp

Das Rückgrat des ganzen Projekts aber sind die Hochspannungsleitungen von den Windparks der Nordsee quer durch Deutschland in den industriereichen Süden. Dazu braucht es die Unterstützung der Länder, die mehrheitlich in roter und grüner Hand sein. Bis jetzt geht wenig weiter, die Zeit wird knapp. Mit einem angeschlagenen Röttgen hätte die Opposition wohl Katz und Maus gespielt. Einen Vorgeschmack dafür lieferte sie schon knapp vor der NRW-Wahl, als ihre Mehrheit im Bundesrat die geplante Kürzung der Solarförderungen genüsslich abschmetterte.

Aber kann Röttgens Nachfolger Peter Altmaier die Kastanien aus dem Feuer holen? Sicher: Er ist als Geschäftsführer der Unionsfraktion bestens vernetzt und dürfte auch Verhandlungsgeschick mit den renitenten Landesfürsten beweisen. Aber das solide Fachwissen in der komplizierten Materie, das Röttgen unbestritten hatte, muss sich Altmaier erst in aller Eile aneignen. Denn eines steht fest: Wenn sich beim wichtigsten innenpolitischen Zukunftsthema bis zur Bundestagswahl im Herbst 2013 keine Erfolge abzeichnen, sieht die schwarz-gelbe Leistungsbilanz reichlich mager aus.

Auf einen Blick

Umweltminister Norbert Röttgen wurde vergangene Woche von Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel abgesetzt. Grund ist seine Erfolglosigkeit bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. In der CDU sorgt die eiskalte Abrechnung aber für Verstörung. Aus Merkels Umkreis heißt es hingegen, die Energiewende müsse von einem Minister umgesetzt werden, der voll handlungsfähig sei. Immerhin ist es das wichtigste Projekt der Regierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2012)

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