Die wundersame Auferstehung des "Totengräbers" Tomislav Nikolić

(c) AP (Darko Vojinovic)
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Der neue serbische Präsident hat einen weiten Weg zurückgelegt: Vom nationalistischen Scharfmacher zum vorgeblich streichelweichen EU-Cheerleader.

Auch späte Sieger haben viele Freunde. Ob stiernackige Leibwächter, langbeinige Partei-Assistentinnen, freudestrahlende Funktionäre oder der sich in den Schatten des Rednerpults quetschende Ziehharmonikaspieler: Viele begeisterte Schulterklopfer suchten in der so überraschend verlaufenen serbischen Wahlnacht die Nähe des neuen „Landesvaters“. Gerührt und strahlend wie ein Honigkuchenpferd sprach Überraschungs-Triumphator Tomislav Nikolić überschwänglich vom „schönsten Moment“ seines Lebens: „Dies ist der Gipfel meiner Karriere.“

Tatsächlich war die Laufbahn des 60-jährigen Chefs der rechtspopulistischen Fortschrittspartei bisher eher durch eine endlose Kette von Niederlagen oder nutzlosen Pyrrhussiegen geprägt gewesen. Doch im fünften Anlauf ist dem graumelierten Nikolić, dem das Image des „ewigen Verlierers“ anhaftete, doch noch die Erstürmung des Belgrader Präsidentenpalasts geglückt.

So lange sich sein Weg ins höchste Staatsamt gestaltete, so lange war auch der Weg, den der einstige Totengräber aus Kragujevac inhaltlich zurücklegte: vom glühenden Nationalisten und Freiwilligen im Kroatien-Krieg zum sich staatstragend gebenden künftigen Landesvater, der das Loblied auf die kriselnde EU anstimmt.

Vorwürfe von Kriegsverbrechen

Nach dem Besuch einer technischen Schule begann er ein Jus-Studium, brach dieses jedoch ab, um in die Bauwirtschaft zu gehen. Als Bauleiter war er in ganz Jugoslawien im Einsatz, so zimmerte er etwa an der Bahnlinie von Belgrad in die montenegrinische Hafenstadt Bar mit. „Toma, der Totengräber“ wurde er wegen eines Intermezzos von 1990 bis 1992 als Direktor des städtischen Friedhofs seiner Heimatstadt genannt, ein Name, den er nie wieder loswerden sollte.

1992 hob er schließlich mit seinem politischen Ziehvater Vojislav Šešelj die ultranationalistische Radikale Partei aus der Taufe. Wie sein großes Vorbild übte sich auch Nikolić im Kriegsjahrzehnt der 90er-Jahre in der Rolle des nationalistischen Scharfmachers, und wie gegen Šešelj, so gab es auch gegen Nikolić Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen, in seinem Fall begangen in dem Dorf Antin. Nikolić hat freilich stets bestritten, dass überhaupt Zivilisten umgebracht wurden, solange er dort war. Als Šešelj sich 2003 dem UN-Kriegsverbrecher-Tribunal stellte, übte sich sein Statthalter Nikolić zunächst weiter in der Rolle des treuen Vasallen.

Erst nach den verlorenen Wahlen 2008 kam es zum Bruch mit dem lange vergötterten Partei-Patriarchen im fernen Den Haag, als Nikolić vergeblich für eine Umorientierung der Radikalen Partei kämpfte und für ein Ja zum Assoziierungsabkommen mit der lange geschmähten EU plädierte. Deshalb aus der Partei verstoßen, gründete Nikolić flugs seine Fortschrittspartei und nahm mit Alexander Vučić auch gleich den bisherigen Parteistrategen der Radikalen mit. Seither mühte sich der Oppositionschef, sich als patriotisch gesinnter EU-Befürworter zu positionieren. Von Kritikern als opportunistischer Wendehals oder nationalistischer Wolf im EU-Schafspelz geschmäht, schien das Wahlpech dem ewigen Zweiten zunächst auch im neuen Gewand der Fortschrittspartei an den Stiefeln zu kleben.

Hungerstreik geriet zur Posse

Es gelang es ihm zwar schnell, den Parteineuling als wichtigste Oppositionspartei zu etablieren. Doch neue Wähler vermochte sich Nikolić mit seiner Kehrtwende lange nicht zu erschließen: Reformgesinnte Serben nehmen dem Wendehals seine Läuterung nicht ab. Zu den Grenzen seines Wählerpotenzials gesellen sich selbst verschuldete Fehler: Vor Jahresfrist versuchte er, durch einen Hunger- und Durststreik vorgezogene Wahlen zu erzwingen. Doch die Gandhi-Pose geriet ihm zur wenig staatsmännischen Posse, die sein leidendes Konterfei zwar auf die Titelseiten der Gazetten brachte, aber dennoch bald für ein Abbröckeln des zeitweiligen Umfragehochs sorgte. Auch sein erst 2007 nachgeholter Studienabschluss war für seine Gegner eine willkommene Wahlkampfmunition: Die regierenden Demokraten warfen ihm vor, das Diplom einer Privat-Uni gekauft zu haben.

Obwohl bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen auf Anhieb zur stärksten Kraft gewählt, blieb die Fortschrittspartei weit hinter den Erwartungen zurück. Auch Nikolić lag nach dem ersten Wahlgang trotz Wirtschaftskrise und Politikverdrossenheit noch hinter Tadić, dem er massive Manipulationen vorwarf. Am Tag der Stichwahl prophezeite er dem siegessicheren Amtsinhaber, er werde schon bald ihm, Nikolić, gratulieren müssen. Er sollte recht behalten.

Zur Person

Tomislav Nikolić (* 1952 in der zentral-serbischen Industriestadt Kragujevac) brauchte fünf Anläufe, um ins Präsidentenamt zu kommen. Nach Abbruch des Jusstudiums arbeitete er als Bauleiter in ganz Jugoslawien, dann führte er für zwei Jahre die städtische Bestattung seiner Geburtsstadt. Anfang der 90er-Jahre gründete Nikolić mit Vojislav Šešelj die ultranationalistische Radikale Partei und meldete sich für den Kroatienkrieg. 2008 gründete er die populistische Fortschrittspartei und gibt nun den EU-Befürworter.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2012)

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