Syrien: Warum die Nato vor einer Intervention zurückschreckt

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Frankreich droht Syrien mit Militäreinsatz. Doch die Voraussetzungen sind anders als in Libyen. Russland und auch China denken weiterhin nicht daran, grünes Licht für ein militärisches Vorgehen zu geben.

Es war ein grausiger Fund, den die UN-Beobachter im Osten Syriens machten. Sie entdeckten am Mittwoch 13 Leichen mit am Rücken gefesselten Händen. Einige der Opfer waren durch Kopfschüsse getötet worden. Der Chef der Beobachter, Generalmajor Robert Mood, zeigte sich „tief verstört über die entsetzliche Tat“. Angaben zu den Hintergründen des Verbrechens machte er aber zunächst nicht. Erst vor wenigen Tagen hatte ein Massaker in der Ortschaft Houla mit 108 Toten für eine internationale Welle der Empörung gesorgt. Zahlreiche Länder wiesen syrische Diplomaten aus. Man dürfe Syriens Machthaber, Bashar al-Assad, „nicht weiter sein eigenes Volk massakrieren lassen“, sagte Frankreichs neuer Präsident, François Hollande. Er brachte die Möglichkeit einer internationalen Militärintervention in Syrien ins Spiel – aber nur unter der Voraussetzung, dass es dafür ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gibt. Damit ist diese Möglichkeit derzeit aber gleich null. Denn Russland und auch China denken weiterhin nicht daran, grünes Licht für ein militärisches Vorgehen zu geben.

Vor allem Moskau mauert: Nicht nur, weil die russische Führung nach wie vor verstimmt darüber ist, dass die Nato in Libyen das UN-Mandat zum Schutz der Zivilbevölkerung als Freibrief für den Sturz des Gaddafi-Regimes nutzte. Russland hat auch strategische Interessen: Der Hafen der syrischen Stadt Tartus ist ein wichtiger Stützpunkt der russischen Marine im Mittelmeer.

„Syriens Luftabwehr ist schlagkräftiger“

Die militärische Zusammenarbeit Syriens mit Moskau hat auch in den syrischen Streitkräften Spuren hinterlassen. „Die syrische Luftabwehr ist weitaus schlagkräftiger, als es die libysche war“, sagt der Militärexperte Georg Mader. „Die Syrer haben ein sehr dichtes und operationelles Netzwerk an Luftabwehrsystemen an der Küste und in den Bevölkerungszentren“, meint Mader. Dazu gehören unzählige Radaranlagen und Flugabwehrsysteme vom Typ SA-2 und SA-3, aber auch moderne mobile Luftabwehrsysteme vom Typ Pantsir S-1 und Langstreckenluftabwehrsysteme vom Typ SA-5. Syriens Kampfflugzeuge und Luftabwehrsysteme wurden mit russischer Hilfe gewartet und immer wieder modernisiert. „Die Nato hätte in der Anfangsphase sicher weit mehr zu tun als in Libyen“, so Mader. Ohne US-Beteiligung würde die Mission vor allem bei der Zielaufklärung auf Schwierigkeiten stoßen.

Es gibt auch noch einen anderen Unterschied zum Einsatz gegen Gaddafis Truppen im vergangenen Jahr. Die libyschen Rebellen hatten im Osten des Landes ein kompaktes Territorium unter ihre Kontrolle gebracht. Das war auch deshalb gelungen, weil große Teile der in Ostlibyen stationierten Streitkräfte zu den Aufständischen übergelaufen waren. Die Rebellen hatten aber noch zwei weitere Brückenköpfe: die Nafusa-Berge im Westen mit einer direkten Anbindung an Tunesien und die Hafenstadt Misrata, die vom Meer aus versorgt wurde. Von diesen Gebieten aus konnten die Aufständischen mit Luftunterstützung der Nato ihre Bodenangriffe gegen Gaddafis Truppen starten.

Die „Freie Syrische Armee“ kontrolliert derzeit hingegen nur einzelne Ortschaften, Städte und Stadtteile, aber kein zusammenhängendes Gebiet. Sie konnte bisher auch keinen sicheren Korridor zur türkischen Grenze erobern. Das verringert die Erfolgsaussichten der Rebellen. Die Nato könnte rasch in die Lage geraten, dass sie zwar Einrichtungen des Regimes aus der Luft zerstört, Massaker am Boden aber nicht verhindern kann. Dieses Problem hatte sie auch während des Kosovo-Einsatzes 1999.

Extremisten unterwandern Widerstand

Während Frankreichs Präsident nun vorpreschte, zeigen sich die USA offiziell nach wie vor zurückhaltend. Die Regierung Obama will sich kurz vor der Präsidentenwahl in kein Kriegsabenteuer stürzen, dessen Ausgang schwer vorhersehbar ist. Zudem sind Washington offenbar Teile der syrischen Rebellen suspekt. Unter Berufung auf Geheimdienstquellen berichteten US-Medien im Februar von Versuchen des Terrornetzwerkes al-Qaida, den syrischen Widerstand zu unterwandern. Machthaber Bashar al-Assad und ein Teil seiner Führungsclique gehören der religiösen Minderheit der Alawiten an, der Großteil der Syrer sind Sunniten. Aus Sicht von al-Qaida und anderen jihadistischen Gruppen ist der Aufstand in Syrien deshalb auch ein Kampf „rechtgläubiger“ Sunniten gegen einen „ungläubigen“ Unterdrücker. Je länger das Blutbad in Syrien dauert, desto mehr Zulauf könnten freilich die extremistischen Kräfte erhalten.

Im Westen wird man in den kommenden Wochen versuchen, zumindest den diplomatischen Druck auf Assad zu erhöhen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2012)

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