Syrien-Krise: USA und das "Srebrenica-Syndrom"

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Die Supermacht ringt mit einem Eingreifen in Syrien, zerrissen zwischen moralischem Anspruch und politischem Kalkül. Unter dem Eindruck der Bilder des Massakers in Houla steigt währenddessen der Druck auf die USA.

Washington. Der Präsident hielt sich bisher bedeckt. Kein Wort des sonst so beredten Barack Obama in der Öffentlichkeit über die Eskalation der Syrien-Krise – ganz anders als während der Revolution in Ägypten oder des Libyen-Kriegs im Vorjahr, als der US-Präsident sich mit moralischen Appellen im Tagestakt an die Nation und die Welt wandte. Aus dem Weißen Haus verlautete nur, dass sich Obama in einer Telefonkonferenz mit seinen europäischen Verbündeten beriet, mit Angela Merkel, François Hollande und Mario Monti.

Es ist ein untrügliches Zeichen dafür, wie sehr die Regierung in Washington mit einer Entscheidung ringt, wie sie ihre Optionen abwägt, zerrissen zwischen ethischem Anspruch und politischem Kalkül. Unter dem Eindruck der Bilder des Massakers in Houla steigt währenddessen der Druck auf die Supermacht, der Westen starrt gebannt auf das Weiße Haus und seinen Amtsträger, den Friedensnobelpreisträger des Jahres 2009. Schon macht in Washington das Wort von „Obamas Bosnien“, vom „Srebrenica-Syndrom“ die Runde. Im Bosnien-Krieg zwang 1995 das Massaker von Srebrenica mit mehr als 8000 Todesopfern die Nato unter US-Führung zum Eingreifen, nachdem die Welt dem serbischen Treiben ein Jahr lang zugeschaut hatte. In Syrien währt der Bürgerkrieg indessen bereits 15 Monate.

Zermürbt und ausgezehrt von den Kriegen im Irak und Afghanistan, angeschlagen von der schleppenden Erholung der Wirtschaft, erschwert der Wahlkampf den Entscheidungsprozess in den USA noch zusätzlich. Als erstes hochrangiges Kabinettsmitglied brachte derweil die UN-Botschafterin Susan Rice ihre Meinung ziemlich unverblümt zum Ausdruck. Womöglich werde sich angesichts der diplomatischen Blockade der Vetomächte eine Umgehung des Sicherheitsrats nicht vermeiden lassen, suggerierte sie. Das bedeutet eine militärische Intervention auf die eine oder andere Art. Der Friedensplan des Ex-UN-Generalsekretärs Kofi Annan sei obsolet, die freiwillige Abdankung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad kein realistisches Szenario.

Stille Diplomatie gescheitert

Die Hoffnung der Obama-Regierung auf eine stille Diplomatie hat sich zerschlagen. Russland, so der Masterplan, sollte seinen Schützling zum Abgang ins Exil bewegen und so eine Übergangslösung wie unlängst im Jemen ermöglichen. Doch der russische Präsident Wladimir Putin denkt einstweilen nicht daran, seine Macht als Vermittler einzubringen. Er hat Obama bisher die kalte Schulter gezeigt, die Absage des Nato-Gipfels in Chicago war dafür ein Indiz.

Bleibt nach Ansicht Rices als wahrscheinlichstes Szenario die Eskalation eines Bürgerkriegs mit unwägbaren regionalpolitischen Implikationen – von der Türkei bis zum Iran. „Mehr Chaos, mehr Blutbad“, so lautete die Einschätzung des US-Generalstabschefs Martin Dempsey, der indes einen Schlachtplan in der Schublade bereithält. „Syrien ist nicht Libyen“, heißt gleichwohl das Motto nicht nur im Pentagon. Das Assad-Regime sitze ungleich fester im Sattel als damals Muammar Gaddafi, die Armee sei viel besser ausgestattet.

Sicherheitszone in Nordsyrien

Militärische Falken wie der republikanische Senator John McCain plädieren für begrenzte Luftschläge gegen Damaskus und für eine Bewaffnung der Rebellen. Letzterer Forderung schloss sich auch Präsidentschaftskandidat Mitt Romney an – mit dem innenpolitischen Nebeneffekt, Obama als Weichling vor sich herzutreiben. US-Militärs sind jedoch von der Sorge geleitet, dass die Waffen in die falschen Hände geraten könnten, in die Hände des Iran oder der al-Qaida. Eine Machtübernahme der Radikalen in Damaskus könnte den Westen inklusive Israel vor noch mehr Probleme stellen.

Ex-Nahost-Sonderbotschafter Dennis Ross brachte eine Lösungsvariante ins Spiel: die Einrichtung einer Sicherheitszone samt Flugraumüberwachung im Norden Syriens, unter der Oberhoheit der Nato und der Türkei, ähnlich wie einst im Irak des Saddam Hussein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.06.2012)

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