Die vergessene Rebellion im Süden Thailands

vergessene Rebellion Sueden Thailands
vergessene Rebellion Sueden Thailands(c) REUTERS (SURAPAN BOONTHANOM)
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Ringen um die Seele des Südens: Ein Religionskrieg zwischen Muslimen und Buddhisten? Den Aufständischen in den Südprovinzen Thailands geht es um ethnische Identität und einen eigenen Staat. Bangkok steuert dagegen.

Wie jeden Tag steht Som Kosaiyakanond in ihrem kleinen Lebensmittelladen in der Einkaufsstraße von Yala. Sie unterhält sich gerade mit ihrem Mann, als zwei Männer auf einem Motorrad vorfahren. Einer der beiden betritt den Laden, es fallen Schüsse. Soms Mann sackt vor ihren Augen zusammen, sie sieht noch, wie die Männer auf dem Motorrad fliehen. Das war am 4.November 2004.

Später wird Som erfahren, dass der Name ihres Mannes – ein hochrangiger Polizeioffizier – auf der schwarzen Listen der Aufständischen stand.

Soms Mann ist nur eines der vielen Opfer im blutigen Konflikt zwischen der thailändischen Regierung und den Aufständischen, die für die drei südlichsten Provinzen des Landes – Pattani, Yala und Narathiwat – die Abtrennung vom Zentralstaat fordern. „Die malaiische Minderheit in Südthailand kann sich mit den Werten des thailändischen Nationalstaats – Nation, Religion und Monarchie – nicht identifizieren. Sie hat ein anderes historisches Bewusstsein, ein anderes Narrativ“, erklärt Don Pathan, thailändischer Journalist und Experte im Südkonflikt.

Buddhistische Thais – wie Som – bilden im Süden eine Minderheit. Seit vielen Jahren lebt Frau Som, eine burschikose Mittfünfzigerin, schon in Yala, sie und ihre muslimischen Nachbarn stehen sich nahe. „Ich verstehe einfach nicht, was die Gewalt entfacht hat“, sagt sie. Ob der Mörder ihres Mannes je gefasst wurde, weiß Som nicht.

„Ich glaube aber an Karma“, sagt die gläubige Buddhistin. Um ihre Trauer zu überwinden, beschließt Som, anderen von der Gewalt im Süden betroffenen Frauen zu helfen. Sie beginnt, sich in Selbsthilfegruppen zu engagieren und wird bald deren Sprecherin. Heute moderiert sie gemeinsam mit rund zwanzig anderen Frauen eine Radiosendung. Sie alle haben im Konflikt Angehörige verloren – ob durch Anschläge der Separatisten oder durch Armee-Operationen.

Austausch auf Sendung. In den zwanzigminütigen Sendungen erzählen die Frauen ihre Geschichten, tauschen ihre ganz persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse aus, meistens paarweise – eine Buddhistin, eine Muslima. Ins Leben gerufen hat dieses Projekt Sorayah Jamjuree. „Ich wollte, dass die Stimmen der Frauen in diesem Konflikt endlich gehört werden“, so die Muslima. Die Reaktionen auf die Sendung sind sehr positiv: „Täglich rufen andere Betroffene an und bedanken sich. Endlich wissen sie, dass sie mit ihren Ängsten und ihrer Trauer nicht allein sind“, erzählt Sorayah stolz.

Yena Salaemae ist eines der muslimischen Mitglieder des Radioteams. Am 10.Oktober 2007 wurde ihr Mann von einem Unbekannten mit einer M16 erschossen. Yena glaubt, dass ihr Mann sterben musste, weil sie den Demonstranten in ihrem Dorf half, Verfahren gegen die thailändische Regierung einzubringen. „Mein Mann war doch nur ein Motorrad-Taxifahrer, er hatte mit all dem nichts zu tun. Ich war diejenige, die sich gegen die Behörden stellte“, erzählt Yena.

Anfangs verdächtigte die Regierung die Frauen des Radioteams, die Separatisten zu unterstützen, mehr als zehnmal sei ihr Haus durchsucht worden, sagt sie. Heute sieht die thailändische Regierung Yenas Engagement positiv: Am diesjährigen Weltfrauentag erhielt sie sogar eine Auszeichnung für ihren unermüdlichen Einsatz – vom Ministerium für soziale Entwicklung.

Die Nachricht des Friedens. Auch in Zukunft wollen die zwanzig Frauen im Radio und im Internet ihre „Nachricht des Friedens“ verbreiten – die scheint bis jetzt aber weder bei der Regierung noch bei den Gruppen der Aufstandsbewegung so wirklich angekommen zu sein. Im Gegenteil – der Konflikt wird immer blutiger. Vor allem seit 2001 regiert wieder die Gewalt in der Region. „Die Anschläge, hauptsächlich Autobomben, werden nicht unbedingt zahlreicher, aber dafür extremer“, erklärt Don Pathan. „Früher wogen die Bomben noch um die fünf Kilo, heute sind es oft schon mehr als 20.“

Solche Autobomben gingen auch vor wenigen Wochen in den südlichen Städten Hat Yai und Yala in die Luft. 14 Menschen kamen bei den Anschlägen vom 31.März ums Leben, rund 500 wurden verletzt. Auch einen Monat nach den Attentaten sind die betroffenen Viertel – nur ein paar Häuserblocks von Soms Lebensmittelgeschäft entfernt – abgesperrt.

An den Einfahrten in die geschäftige Einkaufsstraße im Herzen Yalas haben Soldaten Checkpoints errichtet. Dort, wo sich früher drei kleine Läden aneinanderreihten, ist heute nur noch ein riesiger Schutthaufen zu sehen. Inmitten des Gerölls erinnert ein kleiner Schrein an die Menschen, die noch vor ein paar Wochen hier gelebt und gearbeitet haben.

„Den Separatisten geht es darum, den Konflikt am Leben zu erhalten. Dafür reichen ein bis zwei Anschläge im Monat“, sagt der Journalist Don. „Solange die Bevölkerung – und vor allem die Regierung und das Militär – wissen, dass die Aufständischen noch präsent sind, ist ihre Mission erfolgreich.“

Rendezvous mit einem Rebellen. Die Planung und Durchführung solcher Attentate war jahrelang die Aufgabe von Abu Sharif. Der mittelgroße 40-Jährige mit langem pechschwarzen Haar und Schnauzbart kämpfte mehr als zwanzig Jahre lang aufseiten einer der größten Separatistengruppen, der Barisan Revolusi Nasional-Coordinate (BRNC). Ein Jahr lang war Sharif Teil der Ronda Kumpulan Kecil-Einheit (RKK), dem bewaffneten Flügel der BRNC, deren Aufgabe es ist, Angriffsziele ausfindig zu machen und zu zerstören, um die Legitimität der thailändischen Regierung zu untergraben. „Wir wollten der Bevölkerung zeigen, dass der thailändische Staat gescheitert ist, weil er seine Bürger nicht beschützen kann“, so der frühere Aufständische. Der Hass auf den Staat wurde ihm schon als kleiner Bub beigebracht. Thai ist die Sprache „der anderen“, buddhistische Mönche werden angespuckt.

Als Mitglieder der BRNC Ende der 80er-Jahre in sein Dorf kamen, um junge Kämpfer zu rekrutieren, zögerte der damals 15-Jährige keine Sekunde. Bald stieg der ehrgeizige junge Mann zum Bezirksführer auf, später wechselte er in den Massenkommunikationsflügel der Bewegung. „Wenn unsere Kämpfer Buddhisten umbringen wollten, mussten sie nicht um Erlaubnis bitten. Bei muslimischen Malaien aber schon“, erzählt der ehemalige Separatistenführer. 2009 wurde Abu Sharif während eines Treffens mit Dorfbewohnern verhaftet. Das thailändische Militär hatte wochenlang sein Telefon, auf dem viele Anschläge geordert wurden, abgehört. Trotzdem ist Abu Sharif heute ein freier Mann, Haftbefehl liegt keiner gegen ihn vor. Dafür arbeitet er mit Teilen des thailändischen Heers zusammen. Und fürchtet dabei um sein Leben.

„Wir waren Helden“. „Jeder Mensch will leben.“ Immer wieder sagt er diesen Satz – fast wie ein Mantra. Die Frage, warum er trotzdem Anschläge anordnete, bei denen unschuldige Zivilisten ums Leben kamen, will er nicht beantworten. Er schweigt und lächelt. Abu Sharif lächelt viel. Ab und zu lacht er sogar schallend.

Trotz allem bereut Abu Sharif seine Zeit in der BRNC nicht. Es sei eine gute Erfahrung gewesen, er habe viel gelernt. Vor allem für die Bildung, die ihm die Bewegung habe angedeihen lassen, sei er dankbar. Heute will er ein neues Leben beginnen. „Ich habe Gott um Vergebung gebeten, will neu anfangen.“ Über die Morde versucht er nicht nachzudenken. „Damals dachte ich nicht, dass ich etwas Sündiges tue. Mein Herz war betäubt“, sagt er – und lächelt wieder. „Außerdem hat unser Imam damals das Töten von Feinden abgesegnet – wir waren Helden“, so der gläubige Moslem.

Auch wenn die Anschläge von religiöser Seite aufgestachelt werden, um einen Religionskonflikt handelt es sich in Südthailand trotzdem nicht. „Die Aufstandsbewegung ist keine islamische, sondern eine ethno-nationalistische“, erklärt Don Pathan. „Ausländische Beobachter, die hinter dem Konflikt eine globale Jihad-Bewegung vermuten, irren.“ Das erfolgreiche Heraufbeschwören der glorreichen Vergangenheit des Königreichs Pattani diene den Separatisten dazu, Kämpfer zu rekrutieren – und nicht ein globaler Jihad, dem es zu folgen gelte. Diese orthodoxe Form des Islam, die aus den Golfstaaten stammt, habe in der Region keine Tradition, so Don.

„Wir sind die Guten!“ Auch das Militär wird nicht müde, zu betonen, dass der Konflikt ein nationaler sei – „ein Problem unter Thais“, wie Oberst Thaninthorn es ausdrückt. Und für dieses Problem müsse eine friedliche Lösung gefunden werden: „Wir müssen die Leute endlich davon überzeugen, dass wir die Guten sind“, sagt der Oberst.

Den Krieg der Worte hat die Zentralregierung nämlich noch nicht für sich entschieden. Das thailändische Militär weiß, dass es in der lokalen Bevölkerung im Süden auf nur wenig Rückhalt stößt. In letzter Zeit setzt das Militär nun verstärkt auf seine Psyop-Einheiten (kurz für „Psychological Operations“). Diese Spezialtrupps sollen durch vertrauensbildende Maßnahmen die Herzen der Dorfbewohner gewinnen.

Täglich trifft man sich in den örtlichen Teestuben mit den Dorfbewohnern zum Nachmittagsplausch. Die meisten trinken grünen Tee mit viel Eis, andere schlürfen heißen Kaffee aus winzigen Espressotassen. Es wird gescherzt und gelacht. Am Vorplatz versorgt ein Armeearzt die Einheimischen mit Medikamenten, auf der anderen Straßenseite schneidet ein Frisör den Dorfjungen die Haare. Die Szene wirkt friedlich, fast idyllisch.

Am Feld hinter der Teestube hat sich eine Gruppe männlicher Dorfbewohner versammelt. Heute wird ihnen Leutnant Chaiyoot Yamklad den Umgang mit Sturmgewehren beibringen. „Damit sie sich gegen die Aufständischen verteidigen können“, so die offizielle Begründung. Trainiert werden die so genannten Cho-Ro-Bor oder Or-Ror-Bor („Freiwillige Dorfverteidiger“) vom Militär; die Waffen stellt die Regierung zur Verfügung. Ob die Bewaffnung der Dorfbewohner den Konflikt wirklich eindämmt, wird jedoch von vielen Seiten bezweifelt. Vielmehr heize die Verbreitung von Schusswaffen den Konflikt nur noch mehr an, sagen Kritiker. Doch Oberst Khosin Kampayu weist die Kritik zurück: „Wir hoffen, dass schon in der nahen Zukunft im Süden Frieden einkehren wird.“

Zumindest im Bildungsbereich scheint die Regierung erkannt zu haben, worum es den Pattani-Malaien in der Region geht: um ihre Identität als Volksgruppe. Die Worte „Kooperation“, „Dialog“ und „Verständnis“ fallen. Pilotprojekte, die den zweisprachigen Unterricht fördern, sollen einerseits die sprachliche Identität der Pattani-Malaien stärken, andererseits aber auch ihre Ressentiments gegenüber der thailändischen Kultur abbauen.

Säkularer Stundenplan. Die in der Region verbreiteten Islamschulen werden angehalten, auch säkulare Gegenstände zu unterrichten. Viele dieser sogenannten Pondoks haben dieser Aufforderung Folge geleistet; andere sind weiterhin im Visier des Militärs, das hinter der Fassade so mancher Schule Brutstätten des Terrorismus vermutet.

Die Schulzeit haben Soms Kinder schon hinter sich. Der jüngere Sohn arbeitet als Polizist in Bangkok, der ältere führt das Lebensmittelgeschäft in Yala weiter. Jeden Tag steht der verheiratete Familienvater im Laden.

Dort, wo vor fast acht Jahren sein Vater erschossen wurde.

Mitarbeit: Rungrawee Chalermsripinyorat

Sultanat Im Süden

Die Sezessionsbestrebungenverschiedener – oft militanter – Gruppen sind in Thailand fast genauso alt wie die Politik der Assimilierung, die seit jeher von der Zentralregierung in den Südprovinzen vorangetrieben wird.

Als die nördlichen malaysischen Staaten 1909 – in einen thailändischen und einen malaiischen Teil – getrennt wurden, fanden sich die Pattani-Malaien plötzlich auf der falschen Seite der Grenze wieder.

In den Südprovinzen sind 80 Prozent der Einwohner muslimisch, haben malaiische Wurzeln und sprechen einen malaiischen Dialekt. Der Rest des Landes ist fest in buddhistischer Hand.

28.04.2004: Bei einem Gefecht um die historische Krue-se-Moschee in Pattani kommen 32 Aufständische und 80 Zivilisten ums Leben. Der Konflikt im Süden flammt wieder auf.

Autobomben fliegen am 31.März 2012 in den südlichen Städten Hat Yai und Yala in die Luft. 14 Menschen sterben, um die 500 werden verletzt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2012)

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