Syrien: "Wir hoffen, dass Assad gewinnt"

(c) REUTERS (KHALED AL-HARIRI)
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Unter den Minderheiten hat der syrische Machthaber Bashar Assad weiterhin viele Anhänger. Die Christen in Aleppo fürchten sich vor dem, was nach dem Sturz des Regimes kommen könnte. Ein Lokalaugenschein.

Die Bombe war auf dem Gehweg versteckt und explodierte, als das Polizeiauto vorbeifuhr. Zwei Polizisten im Wagen waren sofort tot. Zwei Passanten wurden schwer verletzt.

Das Entsetzen steht Rami noch ins Gesicht geschrieben. „Ich stand daneben und blieb wie durch ein Wunder unverletzt. Mein Freund ist auf dem Weg ins Krankenhaus.“ Das Sprengstoffattentat im Stadtteil Aziza, mitten im Zentrum der syrischen Stadt Aleppo, ist der zweite Anschlag dieser Art, aber im Vergleich zu den zwei Autobomben vom Februar ein relativ kleiner Vorfall. Damals starben mindestens 28 Menschen. Das neue Attentat stört das ansonsten friedliche Bild Aleppos. Das Leben schien normal zu verlaufen. Geschäfte sind geöffnet, die Märkte voller Menschen. Ob Pfirsiche, Bohnen, Kartoffeln oder Wassermelonen, man kann alles kaufen.

Aleppo ist mit mehr als einer Million Einwohnern die größte Stadt Syriens. Sie liegt im Norden des Landes, knapp 50 Kilometer von der Türkei entfernt. Die Fahrt von der Grenze nach Aleppo führt durch felsige Hügellandschaften. In den Dörfern sitzen Männer vor den Häusern, rauchen Wasserpfeifen und trinken Kaffee.

Rebellen konfiszieren Autos

Man merkt erst, dass Krieg ist, als die Checkpoints der Freien Syrischen Armee (FSA) auftauchen. Blutjunge Kerle, nicht älter als 20 Jahre, kontrollieren mit Kalaschnikows in der Hand alle Fahrzeuge. „Wir sind hier in diesem Gebiet die Herren“, sagt einer der Rebellen lachend. Im Pass sucht er nach einem Einreisestempel aus dem Iran. Teheran unterstützt das Regime von Präsident Bashar Assad. „Nein, nein, mit Iran kommt hier niemand durch“, sagt er ernst.

Nach 25 Kilometern ist das von der FSA besetzte Gebiet zu Ende. Nun kontrolliert das syrische Militär die Papiere und durchsucht Kofferräume. Es sind wieder sehr junge Männer, zum Teil nur halbuniformiert, die bei 40 Grad Autos kontrollieren und am Spätnachmittag sichtlich müde sind. Vor ihren Zelten steht ein Schützenpanzer. Von den FSA-Stellungen trennen sie höchstens zwei Kilometer.

„Diese Leute stehen nur für Assad Wache, weil sie gut bezahlt werden“, behauptet ein Mann auf dem Gemüsemarkt im Zentrum Aleppos später. „Eigentlich sind hier alle gegen den Präsidenten, aber wir bleiben ruhig, weil wir unsere Stadt nicht zerstören wollen.“ In Aleppo gab es bisher keine großen Proteste gegen die Regierung. „Vielleicht liegt es auch daran, dass es den Menschen hier gut geht.“ Aleppo ist Syriens Industriezentrum. Hier werden Textilien, Medikamente, Elektrogeräte und alkoholische Getränke produziert. 50 Prozent aller Industriearbeiter des Landes sind in der Region beschäftigt. Hinzu kommt eine Altstadt, die ein Anziehungspunkt für den internationalen Tourismus ist.

Die Zurückhaltung gegenüber dem Regime ist bei den Rebellen nicht gern gesehen. „Ich bin seit eineinhalb Jahren nicht mehr aus Aleppo herausgekommen“, sagt ein Taxifahrer. „Alle Einwohner haben Angst, die Stadt zu verlassen, überhaupt mit dem Auto.“ Angeblich sei schon vielen der Wagen von der FSA mit vorgehaltener Waffe abgenommen worden. „Aber Assad wird fallen, das ist unausweichlich“, fügt er hinzu. Obwohl es für ihn egal sei, wer an der Macht ist. „Die von der FSA sind bestimmt nicht besser.“

Christen aus Homs vertrieben

Im Café Baron im Zentrum Aleppos sitzen drei junge christliche Armenier, die die Fußball-Europameisterschaft verfolgen und Wasserpfeife rauchen. „Wir hoffen, dass unser Präsident gewinnt“, erklärt der 25-jährige Gero. „Assad beschützt uns. Wir haben unsere Religion, unsere Kirchen, Schulen und Gemeinden.“ Für ihn und seine Freunde ist die FSA eine Bande von Banditen und Terroristen, so wie es die Regierung propagiert. „Wir wissen doch genau, was in Homs passiert ist“, ergänzt er mit ernstem Blick. Dort habe die FSA Christen vertrieben.

Die drei Armenier plagt die Ungewissheit, wie der Bürgerkrieg enden wird. Sie fürchten vor allem radikale Islamisten. „Wir haben bereits Drohungen im Internet erhalten, zu verschwinden“, erzählt der Innenarchitekt Kevoc. Einige der etwa 50.000 christlichen Armenier Aleppos seien bereits ins Ausland geflüchtet, und viele würden daran denken. „Aber wohin sollen wir gehen?“, wendet Gero ein. „Syrien ist unsere Heimat, hier sind unsere Familien, hier ist unser Leben.“

Nicht weniger nachdenklich ist Vater Joseph, Priester der Griechisch-Orthodoxen Kirche, einer Gemeinde, der in Aleppo rund 20.000 Menschen angehören. „Mein Sohn ist erst vergangenen Freitag mit seiner Familie nach Venezuela ausgereist, nachdem ihm europäische Länder kein Visum gegeben hatten“, erzählt er traurig. Jede Familie in seiner Gemeinde überlege, ins Ausland zu flüchten. Und wer es sich leisten könne, tut das auch. Auch für Vater Joseph waren die Vorgänge in Homs der Auslöser seiner Furcht. „Vor sechs Monaten hat man die Christen dort vertrieben und ihre Häuser angezündet. Zehn Menschen wurden getötet.“ Mittlerweile seien nur noch etwa 30 Familien dort, die man am Ende gehindert habe, die Stadt zu verlassen.

Entführungen als Geldquelle

Mit dem Auto macht Vater Joseph noch eine Tour durch Aleppo. Er will zeigen, wie friedlich die Stadt ist. Über den andauernden Beschuss der Protesthochburg Homs und die vielen Toten, die es täglich in Syrien gibt, verliert er kein Wort. Als der Geistliche am Planet-Hotel vorbeifährt, berichtet er vom Besitzer, der von der FSA entführt und für ein Lösegeld von 15 Millionen syrischen Pfund freigelassen worden sei. „Man hat ihn krankenhausreif geschlagen, und dabei ist der Mann 70 Jahre alt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.06.2012)

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