Böhmdorfer: Kritik der FPÖ am VfGH „war auch falsch“

(c) Die Presse (Clemens fabry)
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Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer, der für die Freiheitlichen die Stichwahl angefochten hat, klagt über politisch motivierte Vorwürfe gegen das Höchstgericht und meint: „Unanfechtbare Wahlen sind ein Muss.“

Die Presse: Haben Sie damit gerechnet, dass die Aufhebung der Bundespräsidentenstichwahl zu monatelangen Diskussionen über den Verfassungsgerichtshof (VfGH) führen würde?

Dieter Böhmdorfer: In den ersten Sekunden nicht, aber als dann zwei sehr prominente Journalisten, Florian Klenk („Falter“) und Armin Wolf (ORF) den Gerichtssaal verlassen und sich dabei abfällig geäußert haben, habe ich mir gedacht: Jetzt bin ich gespannt, welche Kampagne auf uns zukommt.

Anm: Reaktion zu dieser Behauptung des Justizministers von Florian Klenk und Armin Wolf >>

Die Kritik ist eine Kampagne?

Ja, wir erleben politische Kritik an einem rechtlich einwandfreien Urteil. Das Erkenntnis fußt auf einer 90-jährigen Judikatur. Die Kenntnis der Judikatur ist für uns Anwälte Pflicht und Maßstab für die Beurteilung von Prozessrisken. Hätten wir angesichts der Materialien, die wir in der Hand gehabt haben, den Rat gegeben, nicht anzufechten, wäre das berufsrechtlich ein schwerer Fehler gewesen. Hier wird politisches Missfallen als rechtliche Kritik getarnt.

Hat sich Richter Johannes Schnizer in diese Kampagne einspannen lassen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm die Äußerung, die Anfechtung war von langer Hand vorbereitet, entglitten ist. Meines Erachtens wollte er diesen Vorwurf schon anbringen, als er sich entschloss, das Interview zu geben. Seine Gesinnungsfreunde hatten schon vorher gesagt, die Anfechtung sei staatsstreichartig vorbereitet worden.

Das war Anwalt Alfred Noll.

Ja. In den Kreisen von Alexander Van der Bellen ist sofort das Gerücht genährt worden, dass die Anfechtung langfristig geplant worden wäre. Ich zähle mich zu den zu Unrecht Angegriffenen, weil diese Anschuldigung bedeutet, dass man als Rechtsanwalt seine Klienten belehrt, Rechtswidrigkeiten zu dulden, durch Unterlassung daran mitzuwirken, und zwar auch strafrechtliche Tatbestände, nämlich Falschbeurkundungen, zu akzeptieren, und danach gemäß einem vorgefassten Plan darauf basierend eine Anfechtung geltend zu machen. Das ist ein arger Vorwurf.

Die FPÖ hat in den Raum gestellt, dass es Manipulationen gegeben haben könnte. Geschieht das nicht auch ohne Beweis?

Es gibt drei Gruppen von Rechtsverletzungen: Wahlgesetzverletzungen, strafbare Tatbestände und dazwischenliegende Maßnahmen, die man nicht unbedingt unter Wahlrechtsverletzungen im Sinne strafrechtlicher Tatbestände einordnen kann, die aber trotzdem gesetzwidrig sind, wenn nicht strafgesetzwidrig. Beim VfGH haben wir im Sinn der Judikatur nur die Wahlrechtsverletzungen geltend gemacht, bewusst keine strafrechtlichen Manipulationen. Wir mussten die Anfechtungsschrift binnen Wochenfrist ab Verkündung fertig stellen und Wahlrechtsverletzungen nachweisen. Das ist gelungen.

Gibt es mittlerweile Beweise für Manipulationen?

Was strafrechtlich relevant ist, ermittelt der Staatsanwalt. Ob etwas bewiesen wird, ergibt erst die Gerichtsverhandlung. Man kann noch nicht sagen, ob vermutete Manipulationen bewiesen werden können.

Warum sagen Sie dann nicht klar, es gibt keinen Hinweis auf Manipulationen?

Weil das nicht richtig wäre. Es gibt nämlich Hinweise, nur ist es Sache des Staatsanwalts, sie zu verfolgen, soweit sie strafrechtlich relevant sind. Es gibt auch Hinweise, dass für Besachwalterte Anträge auf Wahlkarten gestellt wurden. Hier sagt die Entscheidung des VfGH, dass das nicht zulässig ist. Das wird in Zukunft zu beachten sein. Die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenheit. Ich behaupte gar nicht, dass diese Antragstellung in allen Fällen in schlechter Absicht passiert sind. Aber es ist häufig vorgekommen, dass Personen für andere eine Wahlkarte bestellt haben.

Es wäre doch demokratiepolitisch wertvoll, wenn Sie offenlegten, wo das passiert ist.

Nein, das wertvollere Gut sind gesetzmäßige Wahlen in der Zukunft.

Um Missstände auszuräumen, hätten Sie schon den ersten Wahlgang anfechten können, bei der Hofer vorn lag.

Nach dem ersten Wahlgang gab es meines Wissens dazu keine ausreichenden Informationen. Auch war Hofers Vorsprung für eine erfolgreiche Anfechtung zu groß. Der Durchbruch in den Ermittlungen nach dem zweiten Wahlgang ist so gekommen: Mein Kollege Rüdiger Schender hat circa eine Woche nach der Stichwahl gemeinsam mit Funktionären der FPÖ ein Formblatt entworfen, wie eine Wahl ablaufen soll, und die Frage gestellt, was die Bezirkswahlkommissionsbeisitzer im Gegensatz dazu festgestellt haben. Da haben wir als erste Information vernommen, dass von den 800.000 Wahlkarten circa 563.000 vor der zulässigen Zeit ausgesondert wurden. Und zwar nicht vor den Augen der Bezirkswahlkommissionen, sondern von irgendwelchen Helfern. Das war so beeindruckend, dass wir weitergeforscht haben. Was dann herausgekommen ist, war dramatisch. Erst dann hat sich die FPÖ zur Anfechtung endgültig entschlossen.

Gibt es irgendeinen Hinweis, dass Sie den gleichen Durchbruch nicht auch beim ersten Durchgang hätten erreichen können?

Sie müssen schon die Realität anerkennen: Wenn Hofer mit 35% führt, hat eine Partei andere Sorgen, als den Wahlausgang zu überprüfen.

Die FPÖ könnte ein Interesse haben, dass man weiterhin glaubt, es hat Manipulationen gegeben, weil es dem Gegner schadet.

Die FPÖ hat kein Interesse, das Land zu vernadern. Ganz im Gegenteil. Deshalb hält sich die FPÖ hier zurück.

Halten Sie es noch für möglich, dass künftig eine Wahl stattfindet, die nicht anfechtbar ist?

Das halte ich nicht nur für möglich, das ist ein absolutes Muss. Es muss möglich sein, Briefwahlkarten rechtzeitig mangelfrei herzustellen. Dass das Innenministerium dazu bisher nicht in der Lage war, ist ein Phänomen. Stellen Sie sich einmal vor, das wäre unter Schwarz-Blau passiert, da hätte es einen Volksaufstand gegeben, und es wäre das Ausland informiert worden, wie furchtbar die Regierung ist.

Wir sind jetzt seit Monaten ohne einen Bundespräsidenten. Brauchen wir überhaupt noch einen?

Ich glaube schon, aber einen mit Autorität. Nicht einen, der die Monarchie fortsetzt, sondern einen, der glaubwürdig ist. Fischer war sehr beliebt, aber er hat immer wieder die Große Koalition befürwortet. Es ist politisch unstrittig, dass diese Große Koalition in den vergangenen Jahren nichts zustande gebracht hat. Es wäre angebracht, dass Fischer einmal vor die Bevölkerung tritt und bekennt: „Liebe Landsleute, ich habe mich geirrt. Diese Koalition hat gemessen an ihren Aufgaben zu wenig geleistet.“

Sie haben moniert, dass das VfGH-Erkenntnis politisch kritisiert wurde. Haben nicht gerade die Freiheitlichen das bei VfGH-Erkenntnissen auch schon getan?

Was mich stört, ist die politisch motivierte Kritik. Wenn Professor Heinz Mayer gerade zu dem Zeitpunkt, zu dem er im August 2016 den Wahlkampf als Mitglied des Komitees Van der Bellen miteröffnet, seine Meinung zum Erkenntnis ändert, ist das für mich aus wissenschaftlicher Sicht unglaubwürdig. Die Flucht in statistische und versicherungsmathematische Zahlenspielereien ist ein parteipolitisches Verwirrspiel. Die Verfassungsrichter brauchen keine Nachhilfe in Statistik und Mathematik.

Aber hat nicht schon Jörg Haider das Ortstafel-Erkenntnis des VfGH politisch kritisiert?

Beim Ortstafel-Erkenntnis hat es eine Quotenentscheidung in der Begründung des VfGH gegeben. Äußerungen in der Begründung eines Erkenntnisses sind nicht verbindlich. Allein relevant ist, was im Spruch steht. Und man hat damals in der politischen Diskussion so getan, also ob die Begründung Teil des Spruches gewesen wäre.

Das Ortstafel-Erkenntnis zu kritisieren war also legitim, jetzt das Erkenntnis zur Wahlaufhebung zu kritisieren aber nicht?

Nochmals: Es wurde damals die Begründung des VfGH politisch so diskutiert, als ob sie im Spruch gestanden wäre. Das war unredlich. Aber ich bin bei Ihnen: Wenn man Erkenntnisse des VfGH kritisiert, soll man das wissenschaftlich tun, und nicht im Stil einer politischen Diskussion. Wenn das bei anderen Gelegenheiten unangemessen diskutiert wurde, dann bin ich der Erste, der sagt: Ja, das war auch falsch. Auch, wenn diese Kritik Haider gilt.

Haiders Kritik am VfGH war also auch nicht in Ordnung?

Richtig, sie war nicht in Ordnung. Genauso wie die jetzige Kritik nicht in Ordnung ist. Die Politik ist nicht immer leicht vom Recht zu trennen. Wir müssen uns aktuell dagegen wehren, dass das Erkenntnis über die Wahlanfechtung von der Parteipolitik missbraucht wird. Saubere Wahlen gehören zu den höchsten Gütern einer Demokratie.

ZUR PERSON

Dieter Böhmdorfer, Jahrgang 1943, stammt aus einer sudetendeutschen Arztfamilie. Er hat in Wien Jus studiert und 1973 den Anwaltsberuf ergriffen. Als langjähriger Anwalt des früheren FPÖ-Chefs Jörg Haider (1950–2008) wurde er im Februar 2000 zum Justizminister der schwarz-blauen Regierung bestellt. 2004 trat er von diesem Amt zurück und gründete eine neue Anwaltskanzlei. Zusammen mit seinem Partner Rüdiger Schender vertrat er die FPÖ bei der Anfechtung der Bundespräsidentenstichwahl vom 22. Mai, die zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof führte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2016)

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