In einem Video warnt eine Überlebende des Holocaust vor Norbert Hofer. 3,2 Millionen Menschen sahen es sich bisher an.
Paris/Wien. Frankreich schaut durch seine eigene innenpolitische Brille auf die Bundespräsidentenwahl in Österreich: In fünf Monaten wird ebenfalls der Staatschef vom Volk gewählt. Und die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, hat echte Chancen, es dieses Mal zu schaffen. Wenn also in Österreich ein Kandidat als Favorit gilt, der eine „Schwesterpartei“ des FN repräsentiert, muss dies zwangsläufig Beachtung finden. Denn trotz markanter Meinungsverschiedenheiten sind die Parallelen zwischen FPÖ und FN auffallend.
Nach dem Brexit in Großbritannien, nach dem Wahlerfolg von Donald Trump in den USA und der anhaltenden Führungskrise der EU würde in Frankreich ein Sieg von Norbert Hofer niemanden überraschen. Schockieren würde er dennoch die politische Elite von links und rechts. Sie müssten befürchten, von der populistischen Grundwelle des Wählermisstrauens gegenüber allem Bisherigen weggespült zu werden. Im Kontext des gleichzeitig stattfindenden Verfassungsreferendums in Italien werden vor allem die möglichen Folgen der Bundespräsidentenwahl für die EU und die europäische Flüchtlingspolitik erörtert.
Kein Wunder also, dass dieses Mal französische Medien dem Wahlduell in Wien Beachtung schenken. Und das, obwohl normalerweise Wahlen in europäischen Nachbarländern den französischen Zeitungen kaum eine Zeile wert sind. Nun berichteten Journalisten sogar ausführlich über die letzte Fernsehdebatte der beiden Kandidaten. Am meisten Medienecho aber hatte die Auschwitz-Überlebende Gertrude: Also jene 89-jährige Frau, die in einem Video zur Bundespräsidentenwahl Stellung bezieht. Sie warnt vor der Wahlkampfrhetorik der FPÖ und sieht sich dadurch an die Zeit erinnert, bevor die Nationalsozialisten die Macht übernahmen. Dann appelliert sie an die Jugend, vernünftig zu wählen. Und das bedeute für sie: Alexander Van der Bellen wählen.
Ihre Appell war auf allen französischen Online-Informationsdiensten zu sehen. Mit ihrer Mahnung bestätigte sie den Verdacht, dass erstens Österreich die Nazi-Vergangenheit nicht bewältigt habe – und dass zweitens die FPÖ die Gefahr eines Rückfalls in totalitäre Gesinnungen darstellen könnte. Wenn „Le Monde“ der bevorstehenden Wahl und ihrer historischen Bedeutung eine ganze Seite widmet, wird das mit einem Hofer-Plakat illustriert, auf dem der Kandidat mit aufgemaltem Hitler-Schnurrbart zu sehen ist.
„Extrem rechter Kandidat“
In Van der Bellens Kampagnenteam bestätigt man: Es hätte unzählige internationale Medienanfragen zu der Holocaust-Überlebenden Gertrude gegeben. Das zeigen auch die Zahlen: 6,7 Millionen erreichte das Video zumindest auf Facebook. 3,2 Millionen Menschen sahen sich das Video bisher aktiv an. Nach Österreich und Deutschland folgen Zuseher aus Großbritannien, der Schweiz, den USA, Italien – und dann erst Frankreich. Auch in Rom wird mit dem Video vor Norbert Hofer gewarnt: In Österreich könnte ein „extrem rechter Kandidat“, ein „Ultranationalist“ bald Staatsoberhaupt werden.
Die Holocaust-Überlebende Gertrude wurde in dieser Hinsicht also zu einer der international bekanntesten Wahlhelferinnen Van der Bellens. Und das auf eigene Faust: Mitte November meldete sich die Frau gemeinsam mit ihrer Tochter im Büro des Hofburg-Kandidaten. Wenig später besuchten sie zwei Mitarbeiter, unterhielten sich mit ihr eine Stunde lang und verarbeiteten das Gespräch zu dem kurzen Video. Der Erfolg erstaunte sie übrigens selbst: „Ich bin freudig überrascht, dass die Worte einer alten Frau ernst genommen werden.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2016)