Heeres-Befragung: Das Spielzeug der Landeschefs

HeeresBefragung Spielzeug Landeschefs
HeeresBefragung Spielzeug Landeschefs(c) APA HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Den Urnengang am Sonntag gibt es nur, weil Bürgermeister Michael Häupl und Landeshauptmann Erwin Pröll ein zugkräftiges Thema für ihre Wähler gesucht – und das Bundesheer dafür gefunden haben.

Erstmals seit längerer Zeit dürfen die Österreicher wieder über eine sachpolitische Frage abstimmen. 1978 war es die friedliche Nutzung der Kernenergie, 1995 der EU-Beitritt. Und nun also das Berufsheer. Dabei ist es keineswegs die Wiederentdeckung der direkten Demokratie, die uns die Volksbefragung beschert hat. Diese ist schlicht und einfach ein besonders skurriler Ausläufer des Föderalismus und Ergebnis der realen Machtstrukturen in den Koalitionsparteien.

Die Österreicher hatten immer ein etwas eigenartiges Verhältnis zu ihrem Bundesheer. Geliebt haben sie es nie, vertraut haben sie ihm schon gar nicht. Ja, man war froh, wenn bei einem Hochwasser Helfer da waren, die Sandsäcke füllen konnten. Aber dass das Heer Österreich im Ernstfall verteidigen kann – und als Ernstfall galt der Einmarsch russischer Truppen –, das hat niemand geglaubt. Entsprechend stiefmütterlich wurde das Heer auch finanziell behandelt. Geld für Investitionen war nie da. Und wenn einmal, wie beim Ankauf der Abfangjäger, doch investiert wurde, war das mit heftigen Protesten verbunden.


Folkloristische Einrichtung. So kam es, dass die Österreicher in Wirklichkeit kein Heer hatten, sondern eine folkloristische Einrichtung, die sie Heer nannten. Komplett ausgestattet mit Blasmusik, Uniformen und Katastrophenhelfern. Und, ja, auch Waffen. Aber die sollten tunlichst nicht eingesetzt werden. Eigentlich war es immer schon ein Spielzeug der Landeshauptleute. Die konnten die Blasmusik gut bei ihren öffentlichen Auftritten verwenden. Und die Soldaten bei Naturkatastrophen einsetzen, oder an der Grenze. Dort skurrilerweise sogar noch, als die Grenze gar nicht mehr existierte.

Aber man gewöhnt sich an folkloristische Einrichtungen, und so dachte lange Zeit niemand daran, beim Heer irgendetwas zu ändern. Einzige Ausnahme war Wolfgang Schüssel: Der Wendekanzler plädierte schon im Jahr 2002 für ein Berufsheer. Mehr war dann aber auch nicht: Die von Schüssel eingesetzte Bundesheer-Reformkommission verabreichte dem Heer nur ein Minireförmchen. Und selbst das wurde nicht umgesetzt und ist inzwischen in Vergessenheit geraten.

Und so wäre auch die Umstellung der meisten europäischen Armeen auf ein Berufsheer fast spurlos an Österreich vorbeigegangen. Verteidigungsminister Norbert Darabos, ein allem Militärischen abholder Militärchef, sprach seinen Soldaten ausnahmsweise einmal aus der Seele, als er versprach, sich für die Wehrpflicht einsetzen zu wollen. Geradezu „in Stein gemeißelt“ sei sie, so der Minister noch im Jahr 2010.

Die Aussage muss reflexartig gekommen sein. Jahrzehntelang war sozialistischen Jungfunktionären das Trauma des Bürgerkriegsjahres 1934 eingeimpft worden: Dass Soldaten gegen Arbeiter kämpfen und Arbeiterwohnungen beschießen, wurde dem damaligen Berufsheer angelastet.

Erst Michael Häupl hat dieses Denkmuster durchbrochen: Der Wiener Bürgermeister suchte kurz vor der Gemeinderatswahl 2010 nach einem letzten zugkräftigen Wahlkampfschlager – und entdeckte die Abschaffung der Wehrpflicht. Genutzt hat es ihm bei der Wahl nicht viel, er verlor trotzdem die absolute Mehrheit. Aber es sagt viel über die reale Machtverteilung in der SPÖ aus, dass ein locker dahingesagter Spruch des Wiener Parteichefs ausreicht, die Position der Partei in einer zentralen Frage innerhalb weniger Tage zu drehen. Bundesparteichef Werner Faymann und Minister Darabos mutierten innerhalb kürzester Zeit zu Berufsheer-Fans.

Darabos hat das zu seinem zentralen Thema gemacht und ist seither der wichtigste Kämpfer für ein „Profiheer“, so die offizielle Diktion. So ließ er in seinem Ministerium ein Modell ausrechnen, mit der Vorgabe, dass das Berufsheer nicht teurer werden darf, als die derzeitige Wehrpflichtigenarmee. Nun sollte sich aber rächen, dass es Darabos nie gelungen ist, die Kluft zu seinen Militärs zu überwinden. Kaum einer wollte öffentlich für das Berufsheer Stimmung machen. Und als dann ausgerechnet Edmund Entacher, deklarierter Sozialdemokrat und von Darabos selbst an die Spitze des Generalstabs gehievt, für den Beibehalt der Wehrpflicht eintrat, war Feuer am Dach: Darabos versuchte den Kraftakt, setzte seinen obersten Militär ab – und scheiterte damit kläglich.

Entacher ging in die Berufung und setzte sich vollinhaltlich durch. Seither muss der Minister damit leben, an der wichtigsten Position in seinem Ressort einen deklarierten Gegner sitzen zu haben. Entacher bleibt noch bis Ende März dieses Jahres.


Gesinnungswandel der ÖVP. Vorangekommen ist Darabos mit seinen Berufsheerplänen lange Zeit überhaupt nicht. Denn die ÖVP wollte dem Koalitionspartner keinen Erfolg gönnen und sagte nun das Gegenteil dessen, was ihr früherer Parteichef Schüssel nur wenige Jahre zuvor propagiert hatte: Die Wehrpflicht musste bleiben, auch eine Volksbefragung kam für Parteichef Josef Pröll und seinen Nachfolger Michael Spindelegger nicht infrage.

Somit wäre alles beim Alten geblieben – wenn nicht auch die ÖVP reale Machtstrukturen hätte, die mit den formalen Strukturen nicht ganz im Einklang stehen. Erwin Pröll, seit 20 Jahren niederösterreichischer Landeshauptmann, bangt bei der Landtagswahl am 3. März um die absolute Mehrheit, machte sich schon vergangenes Jahr auf die Suche nach einem zugkräftigen Thema – und fand wie Häupl die Wehrpflicht.

Doch während der Wiener Bürgermeister eher das urbane Publikum und die kampagnenfreudige „Kronen Zeitung“ im Auge hatte, dachte Pröll mehr an die ländliche Klientel. Und die ist ganz eindeutig für die Beibehaltung des Grundwehrdienstes – zumal in Niederösterreich vor zehn Jahren der einzige wirklich große Katastropheneinsatz stattgefunden hat: 2002 halfen mehr als 10.000 Soldaten beim Donauhochwasser.

Was ein Häupl in der SPÖ kann, kann ein Pröll in der ÖVP schon lange: Innerhalb weniger Tage schwenkte die Parteispitze vom strikten Nein zu einer Volksbefragung zu einem freudigen Ja. Und so dürfen die Österreicher heute die sicherheitspolitische Weichenstellung zu einem Berufsheer oder zurück zur Wehrpflicht vornehmen.

Dass in den vergangenen Monaten hauptsächlich über Zivildienst und Katastrophenschutz debattiert wurde, nicht aber darüber, ob wir aufgrund der militärischen Bedrohung überhaupt noch eine Wehrpflicht brauchen, muss niemanden wundern. So wie die Österreicher seit Jahrzehnten mit ihrem Heer umgehen, war nichts anderes zu erwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)


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