EU-Abgeordnete scheuen Transparenz

(c) AP (CHRISTIAN LUTZ)
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Ein Verhaltenskodex sollte die Nebeneinkünfte der Mandatare für die Öffentlichkeit einsehbar machen. Viele Parlamentarier nehmen die Regeln aber nicht ernst.

Wien/Brüssel. Schlampige, teils unseriöse Angaben, unleserliches Gekritzel, leer gelassene Felder – der Versuch des EU-Parlaments, Nebentätigkeiten und -einkünfte der Abgeordneten transparenter zu machen, muss fürs Erste als gescheitert betrachtet werden.

Dabei klingt das neue Regelwerk für die Mandatare vielversprechend: Seit Jänner müssen die Abgeordneten im Rahmen eines strengen Verhaltenskodex sämtliche Tätigkeiten und daraus resultierende Verdienste in einer „Deklaration finanzieller Interessen“ angeben, die auf der Parlaments-Homepage öffentlich zugänglich ist. Beweggrund für die neuen Leitlinien war die so genannte „Lobbyingaffäre“ im März 2011, als Ex-ÖVP-Delegationsleiter Ernst Strasser und zwei weitere EU-Mandatare von Journalisten der „Sunday Times“ in eine Falle gelockt wurden, um ihre mögliche Bestechlichkeit zu testen.

Doch auch heute – ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Verhaltenskodex – liegt noch einiges im Argen, was die Transparenzregeln für Abgeordnete betrifft. Das hat die NGO „Friends of the Earth Europe“ in einer detaillierten Untersuchung der Offenlegung aller 754 Abgeordneten festgestellt. So bietet sich dem interessierten Leser bereits auf den ersten Blick ein ernüchterndes Bild: Denn 65 Prozent der abgegebenen Dokumente sind handschriftlich ausgefüllt und folglich schlecht bis gar nicht zu entziffern – ein Problem, das sich durch die Anweisung, die Fragen ausschließlich per Computer zu beantworten, leicht lösen ließe.

Viel kritischer ist da schon, dass 11,7 Prozent der Deklarationen völlig „leer“ sind, wie die NGO bemängelt – 88 Abgeordnete also bis auf Namen und ein Datum keine weiteren Angaben zu ihrer Person gemacht haben. Ausgefüllt sind nicht einmal einfache Fragen zur Beschäftigung in der Zeit vor der Wahl zum Europaabgeordneten. Andere Mandatare ließen beim Ausfüllen ihrer Fantasie freien Lauf: So gibt etwa der dänische Liberale Jens Rohde an, einst als „master of the universe“ über 10.000 Euro monatlich verdient zu haben. Der konservative Brice Hortefeux von der Europäischen Volkspartei vergisst dagegen in seiner Deklaration gleich völlig darauf, dass er bis Februar 2011 unter Staatspräsident Nicolas Sarkozy Innenminister war.

Lediglich 15,7 Prozent aller Abgeordneten räumen ein, eine finanzielle Nebentätigkeit zu haben. Der Großteil – 51,5 Prozent – gibt an, Mitglied in Aufsichtsräten oder sonstigen Gremien zu sein – dies aber großteils unbezahlt. Nur sechs Prozent wollen außerhalb des Parlaments einer Tätigkeit nachgehen, die einer Entlohnung von mehr als 5000 Euro pro Jahr entspricht.

Das Problem: Einzig ein parlamentarischer Beratungsausschuss ist für die Richtigkeit dieser Angaben zuständig – doch auch dieser darf sich nur einschalten, wenn ein Abgeordneter um Hilfe beim Ausfüllen des Fragebogens ansucht oder Parlamentspräsident Martin Schulz es anweist. „Friends of the Earth Europe“ legt Schulz daher nahe, das Mandat des Ausschusses dahingehend auszuweiten, dass eine regelmäßige Überprüfung der Offenlegungen möglich wird.

Neue Datenbank gefordert

Zudem müsse sicher gestellt sein, dass kein Mandatar einer Nebentätigkeit nachgeht, die für ihn einen Interessenkonflikt bedeutet oder der eine Entscheidungen im Parlament beeinflussen könnte. Die bessere Zugänglichkeit der Deklarationen für die Öffentlichkeit müsse künftig durch eine leicht einsehbare Datenbank und die Übersetzung aller Dokumente in Deutsch, Englisch und Französisch sichergestellt werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2012)

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