Polizeikooperation: Briten planen Teilaustritt aus EU

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Die britische Regierung will ihre Klausel im EU-Vertrag nutzen und die Zusammenarbeit bei Justiz und Innerem aufkündigen. Besonders umstritten ist der Europäische Haftbefehl.

London. Falls das Osloer Nobelpreiskomitee gehofft haben sollte, mit dem Friedensnobelpreis für die EU auch ein paar ewig euroskeptische Insulaner im Nordatlantik für die europäische Idee zu erwärmen, wurde es prompt enttäuscht: Statt ein verspätetes Glückwunschtelegramm nach Brüssel zu schicken (Premier Cameron hat bislang jeden Kommentar zum Preis vermieden) wollen Britanniens Konservative sich 2014 aus der gemeinsam Justiz-, Polizei- und Strafverfolgungspolitik ausklinken und dafür das im Lissabon-Vertrag festgelegte „General Opt-Out“ in Anspruch nehmen.

130 Gesetze und Regeln – über die Zusammenarbeit bei Ermittlungen bis zur gemeinsamen Nutzung von DNA-Datenbanken – würden dann in Großbritannien nicht mehr gelten. Mit dem Ausscheren aus der gemeinsamen EU-Politik will David Cameron vor allem seine rebellischen Euroskeptiker beschwichtigen. Allerdings hat er damit einen Krach mit dem Koalitionspartner riskiert.

Besonders umstritten ist dabei der Europäische Haftbefehl. Die Konservativen klagen, dass dadurch überproportional viele Briten festgenommen und wegen vergleichsweise kleiner Vergehen ausgeliefert würden. Die Liberaldemokraten dagegen halten den Haftbefehl für eine unverzichtbare Waffe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität.

Widerstand der Liberalen

Wegen des Widerstands der Liberaldemokraten konnte die konservative Innenministerin Teresa May das geplante Ausscheren gestern anders als erwartet noch nicht zur offiziellen Regierungspolitik erklären. Die Koalitionspartner verhandeln noch darüber, welche Gesetze und Regeln man in einem zweiten Schritt wieder einführen könnte – zumal mittlerweile auch einige Konservative fürchten, dass London durch das Opt-Out seine Verhandlungsposition in Brüssel weiter schwächen könnte.

Doch für die Tories ist klar: Rolle und Beziehungen des Landes mit der Europäischen Union sollen grundsätzlich neu definiert werden. Sie fürchten, durch das engere Zusammenrücken der Eurozone, etwa bei der Bankenregulierung, marginalisiert zu werden. Das Außenministerium soll in den nächsten Monaten sämtliche Aspekte der Mitgliedschaft beleuchten. Dann will die Regierung entscheiden, welche weiteren Befugnisse von Brüssel zurückgefordert werden – und möglicherweise sogar das britische Volk per Referendum über diese neue Form der Mitgliedschaft entscheiden lassen.

Längst sind es nicht nur ein paar unbekannte Hinterbänkler, die für eine drastische Reform der EU-Beziehungen plädieren: Am Wochenende schloss sich auch der innerparteilich hochgeschätzte Bildungsminister Michael Gove der Forderung nach Zäsur und Referendum an. Wenn heute abgestimmt würde, so der konservative Vordenker erstaunlich offen, wäre er für den EU-Austritt.

Genau das versucht sein Parteichef zu vermeiden: Bei der Volksabstimmung, die nach konservativen Planspielen frühestens 2017 stattfinden könnte, soll es laut Cameron nicht um Vollmitgliedschaft oder Austritt gehen (obwohl den laut Umfragen die Mehrheit der Briten befürworten würde), sondern um die neue britische Rolle in Europa. In Interviews betont der Premier stets die Bedeutung des EU-Binnenmarkts – und dass man die Regeln dieses Marktes nur mitbestimmen könne, wenn man weiterhin EU-Mitglied sei.

Die konservative „Times“ prophezeite dem Premier denn auch eine „Woche der Entscheidung“ in Sachen Europa: Beim gemeinsamen Abendessen der EU-Staats- und Regierungschefs will der Premier am Donnerstag für den britischen Sonderweg um Verständnis werben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.10.2012)

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