London könnte sich um eine neue Form der Beziehung zur EU bemühen, doch das letzte Wort hätten die ehemaligen Partner.
Wien. Votiert die britische Bevölkerung bei einem Referendum für den EU-Austritt, tritt Artikel 50 des Lissabon-Vertrags in Kraft: Dieser sieht für jedes Mitgliedsland die Möglichkeit vor, die Staatengemeinschaft auf eigenes Betreiben hin wieder zu verlassen. „Die Regierung in London müsste den Willen auszutreten, zuerst dem Europäischen Rat mitteilen“, sagt Europarechtler Walter Obwexer zur „Presse“. Dieser würde dann entsprechende Maßnahmen einleiten, um ein Austrittsabkommen zu erstellen. Darin könnte auch die künftige Bindung des Landes an die EU – Stichwort bilaterale Verträge – festgelegt werden. Dies würde etwa die Einbeziehung in den Binnenmarkt oder die weiter Übernahme von gemeinsamen Wettbewerbsregeln betreffen.
Es gibt allerdings für so ein Abkommen, das Großbritannien aus wirtschaftlichen Gründe bräuchte, keine Garantie. Kommt es innerhalb einer Frist von zwei Jahren zu keiner Einigung mit den restlichen Mitgliedstaaten über eine derartige Vereinbarung, tritt der Austritt automatisch ein, so Obwexer. Großbritannien könnte in weiterer Folge ähnlich wie die Schweiz bilaterale Verträge mit der EU abschließen. Sie haben allerdings den Nachteil, dass das Land in wichtigen Politikfeldern wie etwa bei Wettbewerbsregeln keine Mitsprache mehr hätte.
Tritt Großbritannien nicht selbst aus der EU aus, kann es auch nicht hinausgeworfen werden. Ein Ausschluss gegen den Willen eines Landes ist in den EU-Verträgen nicht vorgesehen. „Nur wenn ein Land die in Artikel 2 festgelegten Grundrechte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte verletzt, kommt es zu einem Sanktionsverfahren, das aber auch lediglich bis zur Aussetzung der Stimmrechte gehen kann“, erläutert Obwexer. Die Blockade des EU-Budgets oder anderer gemeinsamer Beschlüsse sei jedenfalls kein Grund für eine solch drastische Maßnahme.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2012)