Eine Billionenshow ohne großen Sieger in Brüssel

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Die Verhandlungen über den nächsten EU-Haushaltsrahmen für die Jahre 2014 bis 2020 verzögerten sich bis zum ersehnten Kompromiss mehrmals. Vetos dominierten das große Wettrechnen der 27.

Brüssel. „Am Ende des Tages“ ist eine typische Brüsseler Floskel. Sie stammt aus dem Englischen („at the end of the day“) und bedeutet, dass letztlich alles ein bisschen anders sein wird als gedacht. Die Angst vor dem Tagesende, die Furcht, dass dann etwas schlechter sein könnte als erhofft, beziehungsweise die Hoffnung, dass es doch noch besser werden könnte, hat den EU-Haushaltsgipfel der Staats- und Regierungschefs bis zum erfolgreichen Ende in einen dramatischen Schaukampf verwandelt. Typisch Brüssel: Stundenlang wurde durchgehend gefeilscht, gerechnet, gedroht. Es wurde ein ungeplanter, chaotischer Verhandlungsprozess, der dem sonst so stoischen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy schon zu Beginn völlig entglitten war.

Ob verfehlte Absicht oder dummes Missgeschick: Die wichtigsten Eckpunkte des vorbereiteten Kompromisses waren frühzeitig an die Öffentlichkeit gedrungen. David Cameron, der britische Premierminister, polterte deshalb gleich nach seiner Ankunft in Brüssel, dass diese Kürzungen um weitere 15 Milliarden Euro inakzeptabel seien. „Wenn wir alle sparen, muss auch die EU sparen“, sagte er. „Sonst gibt es keine Einigung.“ Die neuerlichen Vetodrohungen des Briten wurden von leisen, aber vehementen Forderungen des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti nach einer deutlichen finanziellen Besserstellung seines Landes begleitet. Und im Hintergrund spuckte auch noch der tschechische Regierungschef Petr Nečas sein „Ne“ in die längst aufgewärmte Verhandlungssuppe. Ein Patt zeichnete sich ab, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen hatten.

Lediglich Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident François Hollande wirkten zu Beginn noch entspannt, hatten sie doch den Abend vor dem schwierigen Brüsseler Budgetgipfel gemeinsam bei einem Fußball-Länderspiel in Paris verbracht. Deutschland gewann auswärts 2:1. Merkel zeigte sich zufrieden, Hollande nahm es sportlich.

„Haushaltsverhandlungen unter 27 Ländern sind eben ein unheimlich komplexer Prozess“, versuchten Regierungssprecher zu beruhigen, nachdem in der Woche vor dem Gipfel noch optimistische Stimmung für einen raschen Kompromiss verbreitet wurde. Immerhin gehe es um fast eine Billion Euro für sieben Jahre, das sei ein Prozent der Wirtschaftsleistung der gesamten EU. „Jede Verschiebung, jede Einsparung bedingt Opfer, und keiner will verlieren.“

Der Gipfel begann mit einer Verzögerung von nicht weniger als fünfeinhalb Stunden. Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte nämlich seine Dramaturgie über Bord werfen müssen. Eigentlich wollte er alle 27 zum Start mit einem neuen Vorschlag überraschen, sie dann ähnlich einer Konklave einsperren, bis eine Lösung gefunden ist. Doch es war notwendig geworden, zuerst die Problemkinder unter den großen Mitgliedstaaten zu beruhigen. Die Regierungschefs der kleinen Mitgliedstaaten mussten stundenlang in den Gängen des Brüsseler Ratsgebäudes warten. Und dann gab es nicht einmal einen Durchbruch. Als der britische Premierminister Cameron abends endlich den großen Saal im fünften Stock des Justus-Lipsius-Gebäudes betrat, schlug ihm Eiseskälte entgegen. Lediglich im bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borrisow fand er einen Gesprächspartner. Die Lage war angespannt. Statt der Präsentation eines Kompromisspapiers schob Van Rompuy eine weitere Gesprächsrunde unter allen 27 Staats- und Regierungschefs ein, bei der es dem Vernehmen nach zu einer ernsten verbalen Konfrontation zwischen Cameron und Hollande kam. Zwei Ideologien, zwei Zugänge zur Haushaltspolitik prallten aufeinander. Der eine ein konservativ-liberaler Sparer, der andere ein Befürworter einer keynesianischen Investitionspolitik.

Cameron ein „Erpresser“

Und nun drohte auch noch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz mit einem Veto des Abgeordnetenhauses. Er lieferte eine öffentliche Frontalattacke gegen Cameron, den er „Erpresser“ nannte. Es sei nicht hinzunehmen, dass ein Land ein siebenjähriges EU-Budget blockiere, obwohl niemand wisse, ob es am Ende dieser Finanzperiode überhaupt noch Mitglied sei.

Anstatt eines großen Wurfs, über dessen Details verhandelt wurde, musste Van Rompuy die Sitzung immer wieder unterbrechen. Erst ganz am Ende des ersten Gipfeltages wurde den Delegationen der 27 Regierungen ein offizieller Vorschlag übermittelt. Jedes Land wurde mit seinen Zahlen konfrontiert. Ein neuer Tag begann. Er brachte den Startschuss für den eigentlichen Verhandlungsmarathon. In den Delegationen rechneten nun die Experten ihre die Zahlen durch. Einwände wurden formuliert. Cameron, so hieß es, war noch immer nicht zufrieden.

Wieder eine Unterbrechung. Frühmorgens um sechs Uhr dreißig ging es wieder los. Die müden Verhandler kehrten zurück. Bald gab es die nächste Unterbrechung. Nun blockierten noch einige osteuropäische Länder die Einigung. Freitagmittag. Ein neuer Vorschlag sollte auf den Tisch. Aber auch diesmal ließ er auf sich warten. Die Stunden vergingen. Ein weiteres Mal senkte sich die spärliche Sonne über Brüssel. Irgendwo im fünften Stock versuchte Van Rompuy die letzten Sorgenkinder zu befriedigen. Wieder nahte das Ende eines Tages – und dann, endlich, die erlösende Nachricht: Der Durchbruch ist geschafft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2013)

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