Brüssel gibt der Ukraine nur noch eine letzte Chance

Bruessel gibt Ukraine noch
Bruessel gibt Ukraine noch(c) EPA (ANDREY KRAVCHENKO)
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Wenn Kiew bis Mai nicht Fortschritte bei demokratischen Reformen macht – und sich für eine Zollunion mit Russland entscheidet – droht die EU das geplante Assoziierungsabkommen platzen zu lassen.

Brüssel. Geht es nach den Vorstellungen der EU, hat die Ukraine genau drei Monate Zeit, um sich zwischen Ost und West zu entscheiden. „Sollte Kiew bis Mai keine substanziellen Fortschritte bei Reformen von Justiz und Wahlsystem erzielen, ist die für November avisierte Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Ukraine in Gefahr“, hieß es aus EU-Diplomatenkreisen im Vorfeld des am heutigen Montag stattfindenden Gipfeltreffens, zu dem der ukrainische Staatschef Viktor Janukowitsch nach Brüssel anreist.

Und sollte Janukowitsch auf Reformen verzichten und sich stattdessen für eine Zollunion mit Russland entscheiden, wäre es mit der europäischen Perspektive für die Ukraine wohl endgültig vorbei: „Die beiden Abkommen sind nicht miteinander kompatibel.“

Was steht auf dem Spiel? Aus Sicht der ukrainischen Unternehmen vor allem der freie Zugang zum europäischen Binnenmarkt, der im Vorjahr mit Gütern im Wert von 14,6 Milliarden Euro beliefert wurde – Tendenz steigend. Für die ukrainischen Bürger wiederum geht es um die visafreie Einreise in die EU, die Teil des Assoziierungspakets sein soll.

Dass die Verhandlungen stocken, hat vor allem mit dem demokratiepolitischen Verständnis des ukrainischen Staatschefs zu tun – sowie mit Julia Timoschenko, obwohl man es in Brüssel tunlichst vermeidet, den Namen der inhaftierten Oppositionspolitikerin in den Mund zu nehmen. Die Parlamentswahlen im Oktober, die das Lager des Präsidenten für sich entschieden hat, wurden von EU-Wahlbeobachtern kritisiert. Die Ex-Regierungschefin sitzt seit 2011 wegen „Machtmissbrauchs“ im Straflager – und die ukrainische Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Erzrivalin Juschtschenkos wegen Mordverdachts.

Ukraine als „abtrünnige Kolonie“

Gemäß der offiziellen Sicht der Dinge sind Timoschenko und ihre Clique für alles Übel verantwortlich und der amtierende Präsident ein Unschuldslamm. Kostiantyn Yelisieiev, der ukrainische Botschafter bei der EU, geht sogar so weit, die inhaftierte Oppositionelle für die aktuellen Reibereien mit Russland verantwortlich zu machen. Der russische Gaskonzern Gazprom schickte Kiew vor wenigen Wochen eine Rechnung in Höhe von sieben Milliarden Dollar für bestelltes, aber nicht abgenommenes Erdgas zu – und das sei direkte Folge eines Vertrags, den Timoschenko 2009 unterzeichnet hat, wirft Yelisieiev der ehemaligen Premierministerin vor.

Dieser Streitfall macht deutlich, warum die verklausulierten Drohungen des Kiewer Establishments, im Fall eines Scheiterns der Verhandlungen mit Brüssel in Moskau anzuklopfen, einigermaßen hohl wirken. Denn Russland sieht die Ukraine eher als abtrünnige Kolonie denn als gleichberechtigten Partner, und will sich vor allem die Kontrolle über das Pipelinenetz und die Rohstoffe seines Nachbarn sichern. So bleibt Botschafter Yelisieiev auch nichts anderes übrig, als die EU für ihre Hinhaltetaktik zu rügen und die geostrategische Bedeutung der Ukraine zu betonen: „Was haben die Befugnisse der ukrainischen Richter mit diesem historischen Abkommen zu tun?“

Vorbedingungen jeglicher Art werde Kiew auf keinen Fall akzeptieren, betont der Diplomat gegenüber der „Presse“. Das Problem ist nur, dass Brüssel eben diese Vorbedingungen stellt. Der Gipfelerfolg wird davon abhängen, ob einer der Partner nachgibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.02.2013)

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