Berlin und Paris zeigen London die kalte Schulter

(c) EPA (JULIEN WARNAND)
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Der britische Premier Cameron blitzt mit seinem Vorstoß für eine gemeinsame Kürzung der EU-Kompetenzen ab.

London. Nicht nur klimatisch erlebt die britische Insel derzeit eine Rekordkältewelle. Auch diplomatisch herrscht zwischen Großbritannien und den beiden europäischen Führungsmächten Deutschland und Frankreich Eiszeit. Ein weiterer Rückschlag war nun die Ankündigung der Regierungen in Berlin und Paris, eine von London gestartete Überprüfung aller EU-Bestimmungen und ihrer Auswirkungen auf nationaler Ebene zu boykottieren: „Das ist eine innenpolitische Übung der Briten“, zitierte die „Financial Times“ einen französischen Diplomaten. „Wir haben uns daher entschlossen, nicht daran teilzunehmen.“

Mehr noch als die spitzen Worte aus Paris wird London schmerzen, dass Frankreich unwidersprochen auch gleich für Deutschland mitsprechen durfte. Nach der Rede von Premierminister David Cameron Mitte Jänner, in der er eine Volksabstimmung über den Verbleib seines Landes in der EU in Aussicht gestellt hatte, war in London die moderate Reaktion der deutschen Kanzlerin Angela Merkel – insbesondere in Kontrast zu den verärgerten Stellungnahmen aus Frankreich – als Ermutigung begrüßt worden. Ein Sprecher des Foreign Office meinte zu der Brüskierung gestern lediglich: „Wir haben nur eine Einladung ausgesprochen und zur Kenntnis genommen, dass manche sie nicht angenommen haben.“

Einzelheiten wollte er nicht nennen. Dem Vernehmen nach antworteten aber nur Italien und Schweden auf die britischen Fragen. Diese sollen in einer umfangreichen Überprüfung aller Politikfelder eine genaue Übersicht über Vorhandensein, Wirkung und Überschneidung von EU-Regeln und nationalen Gesetzen liefern. „Wir sehen diese Aufgabe als notwendigen und positiven Beitrag zur Reform Europas“, sagte Außenminister William Hague beim Startschuss im vergangenen Sommer. Laut dem Plan der Regierung sollen bis Herbst 2014 zu insgesamt 32 Politikfeldern Berichte vorliegen. Erste Entwürfe zu den Bereichen Binnenmarkt, Steuern, Tierschutz, Lebensmittelsicherheit, Gesundheitswesen, Entwicklungshilfe und Außenpolitik werden schon in den kommenden Wochen erwartet.

Rücksicht auf Liberale

Obwohl die als „Buchprüfung“ bezeichneten Analysen ausdrücklich keine Politikempfehlungen enthalten sollen, ist klar, dass sich die Regierung davon wichtige Informationen über die von Cameron angekündigten „Neuverhandlungen der Beziehungen“ zwischen London und der EU erwartet. Denn immer noch bleibt die britische Regierung mit konkreten Forderungen auffällig zurückhaltend. Das mag Taktik sein, ist aber auch Resultat des Umstands, dass in der aktuellen Koalition zwischen Konservativen und den europafreundlichen Liberalen etwa zum Thema Einwanderung heute größere Meinungsunterschiede bestehen als zwischen den Tories und der oppositionellen Labour Party, die sich in Härte gegenüber Migranten zu übertrumpfen versuchen. Würde Cameron das Thema EU-Austritt forcieren, würde er das Verhältnis zum Koalitionspartner noch weiter verschlechtern.

Nicht zu vergessen ist auch, dass es zu dem von Cameron für Ende 2017 in Aussicht gestellten Referendum erst kommen kann, wenn die Tories bei der Wahl 2015 die absolute Mehrheit gewinnen. Bei derzeit zehn Prozentpunkten Rückstand in allen Umfragen schaut es nicht gerade danach aus. Zudem schafft es Europa nicht einmal in die Top Ten der aktuellen Sorgen der Briten: Ende Jänner nannten 52 Prozent die Wirtschaftslage als wichtigstes Thema, Europa nannten gerade einmal zwei Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.04.2013)

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