Paris bittet Deutschland um Geduld

Germany's Finance Minister Schauble and French Finance Minister Moscovici attend a meeting at the French National School of Administration in Strasbourg
Germany's Finance Minister Schauble and French Finance Minister Moscovici attend a meeting at the French National School of Administration in StrasbourgREUTERS
  • Drucken

Finanzminister Pierre Moscovici appelliert an seinen deutschen Kollegen, Wolfgang Schäuble, Frankreich mehr Zeit für die Sanierung des Haushalts zu geben.

Brüssel. Geht es nach den internationalen Anlegern, war der französische Hafen noch nie so sicher wie derzeit. Zum ersten Mal in der Geschichte muss (bzw. darf) Frankreich weniger als zwei Prozent für seine Schulden zahlen: Die am Donnerstag emittierten Anleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren wurden mit einem Kupon von gerade einmal 1,94Prozent an den Mann gebracht. Ein Misstrauensbeweis seitens der Finanzmärkte sieht anders aus.

Doch der Schein trügt. Frankreich hat ein Schuldenproblem: 2012 ist die Staatsschuld auf 90,2Prozent des BIPs geklettert, und die ursprünglich für das laufende Jahr anvisierte Einhaltung des Maastricht-Defizitlimits von drei Prozent des BIPs wurde vor wenigen Wochen offiziell ad acta gelegt. Hollande erwartet für 2013 einen Fehlbetrag von 3,5 Prozent und will erst 2014 die Maastricht-Vorgabe erfüllen. Zu ambitionierte Sparmaßnahmen würden die Konjunktur gefährden, warnte Finanzminister Pierre Moscovici seinen deutschen Amtskollegen, Wolfgang Schäuble, am Donnerstag. Wenn Berlin ein starkes Frankreich an seiner Seite wünsche, müsse es sich in Geduld üben. „Es ist mir wichtig, dass Deutschland das versteht.“

Steinbrücks Schützenhilfe...

Die SPD hat Moscovici jedenfalls ganz auf seiner Seite. Präsident François Hollande könne nicht alles aufholen, „was seine beiden Vorgänger in den letzten zehn bis 15 Jahren nicht bewältigt haben“, sagte SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am Freitag im Anschluss an seine Visite beim sozialistischen Staatschef. Und die Herausforderungen, vor denen Frankreich stehe, seien „erheblich“.

In der Tat stimmt die ökonomische Anamnese alles andere als zuversichtlich. Gemäß der jüngsten EU-Prognose soll Frankreichs Wirtschaft 2013 das zweite Jahr in Folge stagnieren, bei einem zeitgleichen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 10,7 Prozent – im Februar sind knapp 3,2 Millionen Franzosen auf der Suche nach einem Job gewesen. Das Problem ist nur, dass sukzessive französische Regierungen einen überbordenden Staatssektor herangezüchtet haben, der die Wirtschaft des Landes langsam zu ersticken droht. Frankreichs Staat trägt 57 Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes bei – nur Dänemark gibt in der EU mehr aus. Damit Paris das Geld nicht ausgeht, summiert sich die französische Steuer- und Abgabenlast mittlerweile auf 46 Prozent des BIPs.

Dem Vernehmen nach hat Hollande selbst mit dieser Entwicklung wenig Freude. Um gegenzusteuern, fehlt ihm aber offenbar der Mut. Zudem hat er die Wahl mit dem Versprechen gewonnen, das Rad der Zeit zurückzudrehen und etwa das Pensionseintrittsalter auf 60 Jahre herabzusetzen, was in Teilbereichen auch umgesetzt worden ist – ebenso wie die angekündigte Anhebung des Spitzensteuersatzes auf 75 Prozent.Hier offenbart sich Hollandes Dilemma: Nachdem die Steuererhöhung einen Exodus der Leistungsträger auszulösen drohte, ruderte der Staatschef zurück und kündigte an, nicht die Gutverdiener, sondern ihre Arbeitgeber müssten die Steuer berappen – obwohl Hollande die Unternehmen eigentlich steuerlich entlasten wollte, damit sie mehr Arbeitsplätze schaffen.

...und Merkels Dilemma

Doch auch Kanzlerin Angela Merkel steht vor einem Dilemma: Zum einen ist sie sich im Klaren darüber, dass Hollande auf einen Sieg der SPD bei der Bundestagswahl im Herbst spekuliert. Auf der anderen Seite ist Berlin auf die Kooperation Frankreichs bei dem stückweisen Umbau der Eurozone angewiesen und kann Hollande nicht zu laut kritisieren. Nachdem Hollande erst vor elf Monaten in den Élysée-Palast eingezogen ist, wird Merkel auf absehbare Zeit keinen anderen Gesprächspartner haben.

Auf einen Blick

Frankreichs Wirtschaft wird nach Prognosen der EU-Kommission 2013 das zweite Jahr in Folge stagnieren. Die Staatsverschuldung kletterte 2012 auf 90,2 Prozent des BIPs, heuer soll sich der Fehlbetrag im Haushalt auf 3,5 Prozent des BIPs belaufen. Auch die Arbeitslosigkeit steigt: Im Februar waren knapp 3,2Mio. Franzosen ohne Job.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Kommentare

Zusammen sind sie schwächer

Hollande und Steinbrück im Kampf gegen Angela Merkel.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.