Sozialtourismus: Brüssel will Beweise

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit ihrem deutschen Amtskollegen Peter Friedrich.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner mit ihrem deutschen Amtskollegen Peter Friedrich.(c) EPA (OLIVIER HOSLET)
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Die EU-Kommission stellt die von Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner thematisierte Ausnutzung des Sozialsystems infrage. Die Freizügigkeit dürfe nicht eingeschränkt werden.

Wien. Ein Brief an die irische EU-Präsidentschaft, der auch von der österreichischen Innenministerin Johanna Mikl-Leitner unterzeichnet wurde, sorgt in Brüssel seit Wochen für schroffe Reaktionen. Nun haben drei EU-Kommissare in einer gemeinsamen Antwort Mikl-Leitner und ihre Amtskollegen in Deutschland, den Niederlanden und Großbritannien schriftlich aufgefordert, Beweise für das von ihnen behauptete Problem eines Sozialtourismus innerhalb der EU vorzulegen.

Die EU-Kommission zweifelt nicht nur die von den vier Innenministern thematisierte Ausnutzung des Sozialsystems durch Zuwanderer aus anderen Mitgliedstaaten an. Sie weist in dem aktuellen Brief, dessen Kopie der „Presse“ vorliegt, auch darauf hin, dass die Bedeutung der Personenfreizügigkeit nicht infrage gestellt werden dürfe. Diese habe unter anderem auch erhebliche wirtschaftliche Vorteile.

Mikl-Leitner hat ebenso wie der deutsche Innenminister Peter Friedrich, von dem der Vorstoß ausgegangen war, ein Wiedereinreiseverbot für EU-Bürger gefordert, die Sozialsysteme ihrer Gastländer in betrügerischer Weise ausnutzen. Einige deutsche Kommunen hatten zuvor darüber geklagt, dass sie von verstärkter Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren betroffen seien, die offenbar auf das Abschöpfen von Sozialleistungen in ihrem Gastland aus seien. Bisher wurden dazu aber keine Zahlen übermittelt.

Die Zuwanderungsstatistik in Österreich zeigt jedenfalls keinen bedeutenden Anstieg aus Bulgarien und Rumänien. Und auch das Innenministerium weist auf Anfrage der „Presse“ darauf hin, dass in Österreich derzeit „keine derartige Entwicklung“ festzustellen sei. Bei der Öffnung des Arbeitsmarkts für Rumänen und Bulgaren mit 1. Jänner 2014 seien nach heutigem Stand ebenfalls keine Probleme zu erwarten. Allerdings sei die Rechtslage auch anders als in Deutschland. Anmeldebescheinigungen bei der Fremdenbehörde wurden im Nachbarland mit 1. Jänner abgeschafft. In Österreich müssen sich EU-Bürger weiterhin bei der Fremdenbehörde melden, wenn sie hier wohnen und arbeiten wollen.

Warum hat die Innenministerin den Vorstoß ihres deutschen Amtskollegen dann unterstützt? „Wir erklären uns mit Deutschland und anderen Staaten hier solidarisch, auf dieses Problem aufmerksam zu machen“, sagt Mikl-Leitner.

Einschränkungen bereits möglich

Die EU-Kommissare Viviane Reding (Justiz), László Andor (Soziales) und Cecilia Malmström (Inneres) sehen allerdings neben dem fehlenden faktischen Anlass auch keinerlei juristischen Grund für die Forderungen der vier Innenminister. Denn das EU-Recht sieht bereits Beschränkungen der Freizügigkeit bei einem Ausnutzen des Sozialsystems im Gastland vor. In ernsten Fällen sei auch ein dauerhaftes Aufenthaltsverbot möglich, heißt es aus der Kommission. „Sozialleistungen gibt es außerdem nur für Personen, die in einem Gastland eine Arbeit haben“, betonte EU-Justizkommissarin Viviane Reding kürzlich auf eine Frage zum Vorstoß der vier Minister aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien. Sie äußerste dabei auch die Vermutung, dass die Aktion mit den anstehenden Wahlkampagnen in einigen Mitgliedstaaten in Zusammenhang stehen könnte. Bisher hätten die vier nämlich keinerlei Fakten für ihre Behauptungen vorgelegt. Reding: „Die Freizügigkeit ist für uns nicht verhandelbar. Sie zählt zu einer der Grundfreiheiten der Bürger.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.05.2013)

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