Neuer Anlauf von Merkel und Hollande

Neuer Anlauf Merkel Hollande
Neuer Anlauf Merkel Hollande(c) REUTERS (POOL)
  • Drucken

Die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident stellten in Paris ihre Wachstumsinitiative für den EU-Gipfel Ende Juni vor. Sie wollen Führungsstärke demonstrieren. Frankreichs Sozialisten hadern.

Paris. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat am Donnerstag den französischen Staatspräsidenten François Hollande zur Vorbereitung des EU-Gipfels Ende Juni getroffen. Ausgehend von den Empfehlungen eines Expertenberichts der beiden Industriellen Gerhard Cromme (Siemens) und Jean-Louis Beffa (Saint-Gobain) wollten sie den Partnern gemeinsame Vorschläge zur Förderung des Wachstums und der Beschäftigung in Europa unterbreiten.

Heute herrscht weitgehend Konsens, dass zur Überwindung der Rezession in der Eurozone Sparen zwar notwendig, aber nicht ausreichend ist, und dass allzu drastische Restriktionen wegen des Rückgangs der Binnennachfrage sogar wachstumshemmend wirken können. Mit dem gemeinsamen Vorstoß zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben die beiden Regierungen am Dienstag bereits eine der Stoßrichtungen für europäische Investitionen in die Beschäftigung definiert.

„Sorgenkind“ Frankreich

Beim scheinbaren Routinebesuch ging es gestern in Wirklichkeit um die bedeutsame Frage, ob Paris und Berlin trotz Verstimmungen zu gemeinsamen Initiativen fähig sind. Das Verhältnis ist bereits seit Monaten gespannt. Scharfe Zeitungskommentare hüben und drüben haben noch Öl ins Feuer gegossen. In Deutschland misstraut man den französischen Anstrengungen, sich ernsthaft an die versprochene Haushaltsdisziplin zu halten. Frankreich wurde bereits als das neue „Sorgenkind“ bezeichnet. In Paris verurteilt man den „Egoismus“ der deutschen Exportstrategie. Das Veto aus Berlin gegen geplante europäische Importzölle auf chinesische Solaranlagen hat den Eindruck bestärkt, dass Merkel die deutschen Handelsinteressen und ihre eigene Wiederwahl im September vor den Schutz von Arbeitsplätzen in anderen EU-Staaten stelle.

Eine viel beachtete symbolische Geste, die das Bestreben, sich trotzdem zu verständigen, illustriert, war der gemeinsame Besuch der umstrittenen Kunstausstellung „Deutschland 1800–1939“ im Louvre auf ausdrücklichen Wunsch der Kanzlerin. In Deutschland hatte die Retrospektive, die laut „Frankfurter Allgemeine“ die deutsche Kunstgeschichte klischeehaft auf die Entstehung des Nationalsozialismus verkürze, heftige Kritik ausgelöst.

Hollande und Merkel haben sich in den vergangenen acht Tagen gleich drei Mal getroffen. Beiden gemeinsam ist auch die Befürchtung, dass populistische Strömungen bei den Europawahlen in einem Jahr von der wachsenden Skepsis gegenüber der EU massiv profitieren könnten.

Hollande steht nicht nur unter dem Druck der EU-Kommission, die im Gegenzug zur Gewährung einer zweijährigen Frist zur Senkung des Staatsdefizits unter die Schwelle von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts die beschleunigte Umsetzung von Strukturreformen verlangt. Er gerät immer stärker unter den Druck seiner sozialistischen Parteikollegen, die es nur schwer verdauen, dass ihr Präsident eine „Merkozy“-Linie verfolgt, die er noch während des Wahlkampfs verworfen hatte. Wie Vorgänger Sarkozy sieht sich Hollande im Interesse Frankreichs und der EU zu Konzessionen gezwungen.

Loblied auf Hartz-Reform

Bei seinem Besuch in Leipzig vor einer Woche aus Anlass der 150-Jahr-Feier der SPD sang Hollande ein Loblied auf die von Gerhard Schröder eingeleiteten Hartz-Reformen: „Der Fortschritt besteht auch darin, in schwierigen Momenten mutige Entscheidungen zu treffen, um Arbeitsplätze zu bewahren und dem industriellen Wandel vorzugreifen. Das hat Gerhard Schröder hier in Deutschland getan, und heute ermöglicht dies dem Land einen Vorsprung gegenüber anderen.“ Hollandes französische Genossen glaubten sich verhört zu haben. In Leipzig erntete Hollande indes Standing Ovations – in der Hoffnung, er meine es ernst mit seinem Reformwillen.
FRANKREICHS WIRTSCHAFT Seite 16

Auf einen Blick

Wachstumsinitiative. Aus Anlass des 50-Jahr-Jubiläums des Elysée-Vertrags zwischen Frankreich und Deutschland haben Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel versprochen, eine Initiative zur Förderung des Wachstums und der Stabilität vorzulegen. Ihr Augenmerk gilt der Jugendarbeitslosigkeit. Ausgearbeitet haben die Vorschläge die Industriellen Gerhard Cromme und Jean-Louis Beffa.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.