Othmar Karas: "Parlament braucht Pro-EU-Mehrheit"

Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, wirbt für mehr EU-Kompetenzen, auch in der Sozialpolitik.
Vizepräsident des Europaparlaments, Othmar Karas, wirbt für mehr EU-Kompetenzen, auch in der Sozialpolitik.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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EU-Abgeordneter Othmar Karas warnt im "Presse"-Interview vor einer Isolation Österreichs, sollte künftig im Nationalrat keine Zweidrittelmehrheit EU-Kompetenzerweiterungen mittragen.

Die Presse: Der künftige Bundeskanzler wird in Brüssel die Europapolitik wesentlich mitbestimmen. Warum, glauben Sie, spielt aber das Thema Europapolitik bei der Nationalratswahl fast keine Rolle?

Othmar Karas: Das Thema spielt eine Rolle, aber eine viel zu geringe. Wir wählen die Vertreter Österreichs im Rat. Jede Regierung hat eine gesetzgeberische Mitverantwortung in Europa. Die zu geringe Beachtung des Themas ist eine Folge des von den politischen Parteien verhinderten Bewusstseins, dass Europapolitik eigentlich Innenpolitik ist.

Die ÖVP hat sich als die Europapartei definiert. Mittlerweile belegen Umfragen, dass die Grünen die meisten EU-Befürworter unter ihren Wählern haben. Warum?

Die ÖVP war und ist Motor der europäischen Integration. Ich bin aber auch froh, dass ÖVP, SPÖ und Grüne während der auslaufenden Legislaturperiode im Parlament eine sehr tragfähige proeuropäische Zweidrittelmehrheit hatten, weil ja viele Weichenstellungen als Antwort auf die Krise in Österreich sonst nicht möglich gewesen wären. Es kann für mich nicht genügend proeuropäische Parteien geben. Jede der Parteien hat da noch Potenzial, auch meine Partei. Als ich als Delegationsleiter der ÖVP-Delegation im Europaparlament angetreten bin, habe ich klargestellt, dass wir zu den nächsten Integrationsschritten stehen müssen, nicht zu einer Renationalisierung beitragen und auch keinen Kniefall vor dem EU-skeptischen Boulevard machen dürfen.

Sehen Sie die Zweidrittelmehrheit der proeuropäischen Kräfte nach den kommenden Wahlen gefährdet?

Ich hoffe so sehr, dass es weiterhin diese Zweidrittelmehrheit gibt. Wir benötigen sie für mehr Gemeinschaftskompetenzen. Die EU muss bei den großen Themen handlungsfähiger werden. Hier geht es nicht um das Ölkännchen oder die Aufdrucke auf Zigarettenpackungen. Hier geht es um die großen Fragen der Wirtschaft, der Sozial- und Verteidigungspolitik. Um das umzusetzen, braucht es im Nationalrat genügend proeuropäische Kräfte. Ohne Zweidrittelmehrheit wird Österreich unsicherer Kantonist bei jeder EU-Reform.

Sie selbst gelten als äußerst proeuropäischer Politiker. Haben Sie in der Finanz- und Schuldenkrise der letzten fünf Jahre nie an der Konstruktion dieser EU und des Euro gezweifelt?

Nein. Ich habe am politischen Willen gezweifelt, das Richtige zu tun. Ich war immer davon überzeugt, dass die EU nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung ist. Es geht ja darum, wie das Vertrauen der Bürger in dieses Projekt wiedergewonnen werden kann. Die Menschen spüren, dass kein Staat Fragen wie beispielsweise zum Datenschutz, zu Jugendarbeitslosigkeit, Syrien oder zum Klimawandel allein beantworten kann. Doch genau um diese Fragen lösen zu können, muss die Gemeinschaft auch die Instrumente in die Hand bekommen.

Das würde aber auch bedeuten, dass die Mitgliedstaaten auf nationale Souveränitätsrechte verzichten müssen.

Es geht nie um den Souveränitätsverzicht, sondern um die Teilung der Souveränität. Es kann auch ein Souveränitätsgewinn sein, die Gemeinschaft zu stärken.

Was ist Ihrer Ansicht nach für eine nachhaltige Lösung der Krise notwendig?

Als Nächstes ist eine Fiskalunion notwendig. Für alle Instrumente, die zu einer Stabilisierung einer Währung gehören – also Budgetfragen, Steuerfragen, Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik –, muss es gemeinsame Regeln, Kontrollen, Sanktionen geben. Alle diese Bereiche müssen über den Weg eines Konvents Gemeinschaftsrecht werden. Derzeit haben wir zu viele zwischenstaatliche Hilfskonstruktionen. Wenn die Bankenunion und die Fiskalunion fertig sind, muss das Ziel eine Wirtschafts- und Sozialunion sein.

Bedeutet das auch EU-Kompetenzen in der Sozialpolitik?

Überhaupt keine Frage. In der Grundrechtscharta sind soziale Grundrechte festgeschrieben. Da steht mehr drinnen als in den meisten nationalen Verfassungen. Die Freiheiten der Gemeinschaft können nur gelebt werden, wenn dafür auch gemeinsame soziale Grundlagen vorhanden sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2013)

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