Angst vor Übermüdung im Cockpit

Pilots sit at the cockpit of a VietJet  A320 airplane before departure for Bangkok at Noi Bai international airport in Hanoi
Pilots sit at the cockpit of a VietJet A320 airplane before departure for Bangkok at Noi Bai international airport in HanoiREUTERS
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Das EU-Parlament stimmte gegen einen Vorschlag zur Neuregelung von Arbeitszeiten für Flugzeugführer, der auch von der Pilotenvereinigung stark kritisiert wird.

Wien/Brüssel. Wer sich in ein Flugzeug begibt, vertraut sein Leben dem Geschick und der Erfahrung der Piloten an – kurz: Er hofft darauf, dass in 10.000 Metern Höhe keine Fehler passieren. Nach 22 Stunden ohne Schlaf ist das keine Selbstverständlichkeit. So lange könnten Piloten nach einem Vorschlag der EU-Kommission zur Neuregelung der Pilotendienstzeiten aber schon wach sein, wenn sie nach einem Langstreckenflug eine Landung vornehmen – zumindest behauptet das die „European Cockpit Association“.

Die Vereinigung läuft gegen das Papier Sturm, das am gestrigen Montag auch der Verkehrsausschuss des EU-Parlaments mehrheitlich ablehnte. Die Causa geht nun ins Plenum, in dem das Votum des Ausschusses in den meisten Fällen bestätigt wird.

Sekundenschlaf im Cockpit

Siegfried Lenz hofft darauf. „Der Vorschlag würde erlauben, dass Piloten in einem Zustand fliegen, in dem sie nicht fliegen sollten“, sagt der Generalsekretär der „Austrian Cockpit Association“ (ACA) in einem Gespräch mit der „Presse“. Die ACA wirft der Kommission vor, falsche Berechnungen zu den Schlaf- und Wachzeiten der Piloten anzustellen. So könne die Kombination aus Bereitschaftsdienst zu Hause und einer anschließenden Flugzeit von 14 Stunden in Summe dazu führen, dass der Kapitän zum Zeitpunkt der Landung bereits 22 Stunden wach ist – wenn überhaupt alles nach Plan verläuft. „Bei Schlechtwetter oder technischen Problemen kann sogar noch die eine oder andere Stunde dazukommen“, sagt Lenz. Gerade durch die hohe Belastung bei einer Flugzeuglandung sei die Gefahr des Sekundenschlafs hoch.

Die Kommission weist derlei Bedenken zurück: Nach der Neuregelung werde für Bereitschafts- und Flugzeiten ein 16-Stunden-Limit eingeführt, das derzeit nicht einmal in Österreich erreicht werde. Auch in Frankreich, Deutschland und Belgien seien die Vorschriften weniger streng.

12,5 Stunden Nachtarbeit

Ein zweiter strittiger Punkt des Vorschlags betrifft die Nachtarbeitszeiten der Piloten. „Mehrere wissenschaftliche Gutachten empfehlen eine Grenze von allerhöchstens zehn Stunden“, so Lenz. Das Papier der Kommission sieht offiziell ein Limit von elf Stunden vor – 45 Minuten weniger als zuvor. Doch auch diese werden laut ACA längst nicht immer eingehalten: „Es kommt ganz darauf an, welchen Zeitraum man als Nacht definiert“, sagt Lenz. Wenn ein Pilot sein Flugzeug um 16 Uhr startet, dürfe er trotzdem bis 4.30 durchfliegen und damit 12,5 Stunden am Stück arbeiten, kritisiert er. Andere Punkte des Vorschlags – wie die längeren Ruhezeiten nach Jetlags oder die kürzeren Bereitschaftsdienste auf Flughäfen – begrüßt die ACA zwar. Insgesamt zieht Lenz aber ein negatives Resümee. Die Regeln in der Luftfahrt seien bei technischen Fragen, etwa mit welchem Gewicht ein Flieger noch abheben darf, immer noch viel strenger als bei Einschätzung der Belastbarkeit von menschlichen Faktoren.

Eine Studie der Pilotenvereinigung Balpa unterstreicht diese Argumentation. Mehr als die Hälfte aller Flugzeugführer gab an, schon einmal im Cockpit eingeschlafen zu sein. Erst vor wenigen Tagen hatte die britische Flugsicherheitsbehörde Civil Aviation Authority (CAA) von einem Vorfall im August berichtet, bei dem an Bord einer britischen Passagiermaschine sogar beide übermüdeten Piloten gleichzeitig eingeschlafen waren. Das Flugzeug flog weiter, gesteuert nur vom Autopiloten.

„Ich verstehe ja, dass der wirtschaftliche Druck der Airlines groß ist“, sagt Lenz. „Aber es kann doch nicht sein, dass erst ein Unfall durch Übermüdung passieren muss, bevor endlich wirklich strengere Regeln eingeführt werden.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.10.2013)

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