Türkei-Beitritt: Brüssel stellt Ankara positives Zeugnis aus

Bruessel stellt Ankara positives
Bruessel stellt Ankara positives(c) EPA (Tolga Bozoglu)
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Die Kommission kritisiert zwar das harte Vorgehen der Behörden bei den Unruhen im Gezi-Park. Doch der Bericht enthält auch Lob für die Regierung. Eine baldige Fortsetzung der Beitrittsgespräche ist wahrscheinlich.

Istanbul/Brüssel. Der neue EU-Fortschrittsbericht zur Türkei war noch nicht vorgelegt, da gab es schon Krach zwischen Brüssel und Ankara. Der türkische EU-Minister Egemen Bagis beschwerte sich darüber, dass der am Mittwoch präsentierte Jahresbericht ausgerechnet während des islamischen Opferfestes veröffentlicht wurde. Das sei so, als würde man die EU während der Weihnachtsfeiertage mit einem wichtigen Dokument konfrontieren.

Doch Bagis' Sorge um die Feiertagslaune seiner Landsleute war unbegründet: Der Bericht der EU-Kommission enthielt zwar die erwartete Kritik am harten Vorgehen der Behörden gegen die regierungsfeindlichen Gezi-Park-Demonstrationen, bei denen im Juni sechs Menschen starben und mehrere tausend verletzt wurden. Doch der Bericht überraschte auch mit viel Lob für Ankara. Erweiterungskommissar Štefan Füle sprach sich sogar für eine Beschleunigung der Gespräche mit der Türkei aus.

Verhandlungen wurden vertagt

Eine solche Bewertung der Lage durch die Europäer wäre auf dem Höhepunkt der Proteste gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan im Juni nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Damals dachte die EU darüber nach, die stockenden Verhandlungen mit der Türkei wegen des brutalen Vorgehens der Polizei gegen die Demonstranten vorübergehend ganz auszusetzen. Schließlich vertagte Brüssel die bereits vorher zugesagte Eröffnung eines neuen Verhandlungsbereiches.

Die Gezi-Proteste und die Reaktion der Behörden nehmen im neuen Fortschrittsbericht eine zentrale Rolle ein. Die Polizei wird kritisiert, der Regierung Erdoğan wird eine „kompromisslose Haltung“ gegenüber den Protesten vorgeworfen. Die EU mahnt auch mehr Freiheit für die türkischen Medien ein. Gelobt wird dagegen Staatspräsident Abdullah Gül, der anders als der Premier versöhnliche Worte für die Demonstranten fand. Bei den Protesten habe sich die Stärke der türkischen Zivilgesellschaft gezeigt, betont die EU-Kommission zudem.

Bei aller Kritik an Erdoğan schreibt die EU-Behörde in dem Bericht aber auch der Regierung positive Entwicklungen gut. Dazu gehören die Friedensgespräche mit dem inhaftierten kurdischen Rebellenchef, Abdullah Öcalan, und das kürzlich von Erdoğan vorgelegte Reformpaket, das unter anderem den Kurden das Leben leichter machen soll. Zudem habe sich die Regierung um einen stärkeren Dialog mit den nicht muslimischen Minderheiten bemüht. Gelobt wird auch die Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Es gab also schon weit kritischere EU-Berichte zur Türkei. Gerade weil die Gezi-Unruhen den Freiheitswillen der türkischen Zivilgesellschaft gezeigt hätten, soll Europa die Türkei mehr als bisher fordern, lautet das Argument. Erweiterungskommissar Füle plädiert dafür, mit Ankara möglichst bald die Verhandlungsbereiche über die Grundrechte und die Justiz anzugehen. Das könnte den Türken mehr Meinungs- und Versammlungsfreiheit bringen.

Erst 13 Kapitel eröffnet

Gespräche über die Regionalpolitik sollen ohnehin demnächst beginnen – es wäre das erste Mal seit drei Jahren, dass im EU-Prozess der Türkei neue Gesprächsthemen erörtert würden. Obwohl die Beitrittsverhandlungen bereits seit 2005 laufen, hat die Türkei bisher erst in 13 von 35 Verhandlungskapiteln die Gespräche mit der EU eröffnen können. Der ungelöste Zypern-Konflikt sowie der Widerstand einiger EU-Länder wie Frankreich und Deutschland gegen eine Aufnahme der Türkei sind die Hauptgründe für das Schneckentempo der Verhandlungen.

In der Türkei selbst war das Interesse an der EU angesichts der Haltung der Europäer zuletzt stark gesunken. Laut einer Umfrage des German Marshall Fund liegt die Europa-Begeisterung der Türken bei 44 Prozent – im Jahr 2004 sind es noch 73 Prozent gewesen. Im selben Zeitraum wuchs der Anteil der Gegner eines EU-Beitritts in der Türkei von neun auf 34 Prozent.

Doch inzwischen schwingt das Pendel wieder zurück. Insbesondere Vertreter der türkischen Wirtschaft plädieren für eine aktivere Politik zur EU-Annäherung. Muharrem Yilmaz, Chef des Unternehmerverbandes Tüsiad, erklärte, die Türkei brauche verstärkte EU-Anstrengungen, wenn das Land Wirtschaftswachstum, politische Stabilität und mehr Demokratie wolle. Auch Europaminister Bagis betonte, die Hälfte der türkischen Ausfuhren gingen in die EU. Sein Land bleibe „in Sachen EU entschlossen“, so Bagis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2013)

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