Bürger zweifeln am Funktionieren der Demokratie bei EU-Gesetzgebung

Umfrage. Nur 43 Prozent der Bürger sind mit den demokratischen Prozessen in der Union zufrieden. Zwei Drittel glauben, dass ihre Stimme nicht zählt.

Wien/Brüssel. Wie gut funktioniert Demokratie in der Europäischen Union? Nur unzureichend, meinen jedenfalls die Bürger. Das geht aus einer Eurobarometer-Befragung vom Frühling 2013 in den damals 27 EU-Mitgliedstaaten hervor.

Während die Zufriedenheit mit demokratischen Prozessen in der Union bei nur 43 Prozent liegt (Unzufriedenheit: 46 Prozent), war knapp die Hälfte der Befragten mit dem Demokratie-Level im eigenen Land zufrieden. Für Österreich sind die Zahlen noch gravierender: 74 Prozent stellten ihrem Land ein gutes Zeugnis aus, nur 45 Prozent aber der EU.

Die Ursache für diese Werte ist oft die Tatsache, dass die Kommission als einzige Institution eine Initiativen für neue Gesetzesvorschläge ergreifen kann, dafür aber nicht demokratisch legitimiert ist. Es liegt aber auch am Unwissen über EU-Gesetzgebungsverfahren und dem mangelnden Bewusstsein für Mitentscheidungskompetenzen. Der Großteil der Befragten (59 Prozent) würde gerne mehr über seine Rechte als Unionsbürger wissen. Dieser Anteil ist in den vergangenen Jahren allerdings kontinuierlich gesunken. Vor allem ein Großteil der Österreicher (59Prozent) zeigt sich nicht besonders interessiert – oder fühlt sich bereits ausreichend informiert.

31 Prozent vertrauen der EU

Der mangelnde Glaube an die funktionierende Demokratie in der Union spiegelt sich im Vertrauen in die politischen Institutionen wider. Nur noch 31 Prozent trauen der EU, 2004 war es noch die Hälfte aller Befragten. Im Vergleich zum Vertrauen in die nationalen Parlamente (26 Prozent) ist das aber immer noch ein guter Wert.

Auch das Image der Union könnte besser sein. 39 Prozent haben zwar ein neutrales und 30 Prozent ein positives Bild von der europäischen Gemeinschaft. Allerdings liegt der Anteil derer, die mit der EU ein negatives Bild verbinden, nur gering darunter (29 Prozent) und steigt stetig an. Die beiden Kurven haben sich einander angenähert.

Als großes Problem erweist sich die Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der Bürger glauben, ihre Stimme zähle in der EU nicht. Seit 2009 steigt diese Zahl kontinuierlich an. Nur 28 Prozent sind derzeit gegenteiliger Ansicht.

Das kann aber keineswegs daran liegen, dass die einzig direkt gewählte Institution der EU bei den Bürgern unzureichend bekannt ist: Neun von zehn Befragten gaben an, vom Europäischen Parlament zumindest schon einmal gehört zu haben. (aga)

LEXIKON

Europäischer Rat. Das wichtigste Organ der EU besteht aus den 28 Staats- und Regierungschefs. Sie beschließen die Gründzüge der gemeinsamen Politik und können der EU-Kommission Weisungen erteilen, neue Rechtstexte zu erarbeiten. Der Europäische Rat (EU-Gipfel) entscheidet im Konsens. Ein Beschluss muss von allen mitgetragen werden. Die Sitzungen sind nicht öffentlich. Es werden auch keine Protokolle veröffentlicht, sondern lediglich die jeweiligen Schlussfolgerungen eines Gipfels.

Rat der EU. Das wichtigste legislative Entscheidungsgremium tagt in unterschiedlichen Formationen. Je nach Thema müssen die Fachminister aller Mitgliedstaaten über neue Regeln und politische Themen entscheiden. Die Abstimmung erfolgt in den meisten Fällen mit qualifizierter Mehrheit. Der Einfluss der großen Mitgliedstaaten ist entsprechend stärker. Derzeit gibt es je nach Größe eines Landes noch Stimmgewichte. Ab 2014 wird das System auf die sogenannte „Doppelte Mehrheit“ umgestellt. Dann benötigen gemeinsame Gesetze die Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedstaaten. Deren Regierungsvertreter (Minister) müssen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren.

Europäisches Parlament. Das einzig direkt gewählte Entscheidungsgremium der EU besteht aus 766 Abgeordneten (ab 2014 aus 751 Abg.). Sie werden seit 1979 bei den alle fünf Jahre stattfindenden Europawahlen gewählt. Je nach Größe eines Landes ist die Zahl der zu wählenden Abgeordneten festgelegt. Österreich wird bei den nächsten Europawahlen 18 Mandatare wählen. Das Europaparlament ist ebenfalls ein Legislativorgan der EU und entscheidet gemeinsam mit dem Rat der EU über neue Gesetze. So wie in jedem Parlament sind die Parteifamilien in Fraktionen eingeteilt. Es gibt allerdings keinen Klubzwang so wie etwa im österreichischen Nationalrat. Entscheidungen fallen deshalb oft sowohl über nationale als auch parteipolitische Grenzen hinweg. Es gibt keine Regierungspartei und keine Opposition. Das Europaparlament kontrolliert die Arbeit der EU-Kommission.

Europäische Kommission. Die Verwaltung der Europäischen Union wird durch 28 Kommissare geleitet (einer aus jedem Mitgliedsland). Die Kommission ist die Hüterin der Verträge und ist das einzige Organ der EU, das neue Gesetzesvorschläge erarbeiten kann. Die Kommission darf nur auf Grundlage gemeinsamer Beschlüsse aller Mitgliedstaaten handeln. Sie setzt damit jenes Recht um, das zuvor von allen Regierungsvertretern und direkt gewählten Abgeordneten beschlossen wurde. Die Exekutive der EU darf auch Sanktionsverfahren gegen jene Mitgliedstaaten oder Rechtspersonen einleiten, die gegen das gemeinsame Recht verstoßen. Insbesondere geschieht dies oft im Wettbewerbsrecht. Außerdem verwaltet die Kommission das gemeinsame Budget.

Europäischer Gerichtshof. Er ist für die einheitliche Auslegung des EU-Rechts verantwortlich. 28 Richter und acht Generalanwälte entscheiden über Streitfälle im Rahmen der von der EU gemeinsam beschlossenen Regeln. Wenn nationale Gerichte bei der Anwendung von EU-Recht nicht sicher sind, können sie sich an den EuGH wenden.

Europäischer Rechnungshof. Er kontrolliert den gemeinsamen Haushalt und untersucht, ob die Mittel ordnungsgemäß verwendet werden. Der Rechnungshof kann selbst keine rechtlichen Schritte ergreifen. Deshalb übergeben die Rechnungsprüfer mögliche Betrugsfälle oder Unregelmäßigkeiten an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (Olaf). Dieses leitet dann eigene Untersuchungen ein. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

„Ich war keine überzeugte Demokratin“

Interview. Amelia Andersdotter, Jahrgang 1987, ist die jüngste Abgeordnete im Europaparlament. Die Schwedin vertritt in Brüssel die Piraten.
Europa

Chatten mit Präsident Barroso

Online-Initiative. Beim „Monat des Binnenmarkts“ sollten Bürger Vorschläge für die Zukunft der EU unterbreiten. Die besten fünf werden kommende Woche präsentiert.
Europa

Der Rat der EU: Kein Ecofin ohne Coreper

Gremium der EU-Mitglieder. Minister entscheiden in zehn Untergruppen über Gesetzesvorlagen.
Europa

Brüssel–Straßburg & zurück Alltag eines EU-Mandatars

Europaparlament. Als Abgeordneter der europäischen Bürgervertretung braucht man Sitzfleisch: nicht nur bei den zahlreichen Ausschuss- und Plenartreffen, sondern auch in Flugzeug und Bahn.
Europa

Machtzentrum ist in der Krise gewachsen

Europäischer Rat. Es ist das mächtigste, aber auch am wenigsten transparente EU-Organ.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.