Lobbying in Brüssel: Einflussreich, einseitig und intransparent

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In den Expertengruppen der EU-Kommission dominieren Industrievertreter, viele sind nicht einmal als Lobbyisten registriert. EU-Parlamentarier fordern eine Reform.

Brüssel/Wien. Ein neuer Bericht der Nichtregierungsorganisation Alter-EU stellt der EU-Kommission ein verheerendes Zeugnis bei der Vorbereitung von neuen EU-Gesetzen aus. Entgegen ihren Versprechungen achte sie nach wie vor nicht auf eine ausbalancierte Bestellung der sogenannten Arbeitsgruppen, die als Beratungsgremium für neue Richtlinien und Verordnungen eingesetzt werden. Dort hätten Industrievertreter einen überproportionalen Einfluss, Klein- und Mittelbetriebe, Bürgervertreter und Gewerkschaften seien hingegen völlig unterrepräsentiert. So lässt sich etwa die Generaldirektion für Zoll und Steuern von einer Arbeitsgruppe beraten, die zu 79 Prozent aus Lobbyisten der Industrie bestehe. Lediglich drei Prozent seien unabhängige akademische Experten. Die Auswertung geht auf Listen zurück, die von der EU-Kommission selbst veröffentlicht wurden.

Die meisten lobbykritischen Organisationen in Brüssel, aber auch viele EU-Parlamentarier stellen die Kooperation mit Interessensgruppen nicht prinzipiell infrage. Die Kommission verfolgt seit Jahrzehnten das Ziel, neue Regelungen mit betroffenen Wirtschaftszweigen und Personengruppen abzuklären. Das bringt ihr eine praxisnahe Expertise. Doch die einseitige Auswahl der Berater wurde vom Europaparlament bereits in der Vergangenheit kritisiert. Im November 2011 und im März 2012 verweigerten die Abgeordneten der Kommission für die Finanzierung dieser Arbeitsgruppen deshalb sogar das Budget. Das EU-Parlament forderte eine ausgewogene Auswahl und mehr Transparenz. Der zuständige Kommissar Maroš Šefčovič versprach Besserung. Nun zeigt aber der neue Bericht, dass die Auswahl der Gesprächspartner einseitig geblieben ist.

Bereits im Frühjahr hatte die von Gewerkschaften mitfinanzierte Organisation Alter-EU bemängelt, dass die EU-Kommission vorwiegend mit Interessenvertretern zusammenarbeite, die sich nicht in das offizielle Lobbyistenregister eingetragen hätten. So ließ sich Währungskommissar Olli Rehn von Lobbyisten beraten, von denen sich lediglich 62 Prozent registriert hatten. Der Graubereich ist tatsächlich groß. In Brüssel agieren viele Anwaltskanzleien als Interessenvertreter, beispielsweise von US-Unternehmen. Die Kanzleien verweigern die Titulierung als Lobbyisten, obwohl eine ihrer Hauptaufgaben ist, die EU-Gesetzgebung im Sinne ihrer Mandanten zu manipulieren.

Bei der Vorbereitung des Handelsabkommens mit den USA stellte die Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory fest, dass Beamte der EU-Kommission allein zwischen Jänner 2012 und April 2013 insgesamt 130-mal mit Interessenvertretungen vorbereitende Gespräche geführt hatten. 119 davon seien mit Lobbyisten großer Unternehmen gewesen. Auf der Liste fanden sich Vertreter von Morgan Stanley, DHL, Ford, EADS, Micheline oder der American Chamber of Commerce.

Der unabhängige EU-Abgeordnete Hans-Peter Martin kritisiert die Kommission scharf und warnt in einer Aussendung vor den Folgen einer solch einseitigen Einflussnahme. „Steuervermeider sitzen in der Expertengruppe zur Steuerreform und Telekommunikationsriesen dominieren die Debatte über Datenschutz.“ Die grüne EU-Abgeordnete Helga Trüpel fordert die EU-Kommission auf, ihre zugesagten Reformen endlich umzusetzen.

Derzeit werden die Regeln für die Zusammenarbeit mit Lobbyisten und insbesondere deren Registrierung von EU-Kommission und EU-Parlament überarbeitet. Doch EU-Kommissar Šefčovič kündigte bereits an, dass es auch dabei zu keinen signifikanten Änderungen kommen werde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2013)

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