Arbeitsmarkt: Großbritannien macht die Türen zu

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Vor dem vermeintlichen Ansturm von Bulgaren und Rumänen setzen die Großparteien auf Härte. Dabei hat die bisherige Zuwanderung der britischen Wirtschaft enorm genützt.

London. Wenn am Mittwoch, den 1. Jänner 2014 um 6:55 Uhr die erste Maschine aus Sofia auf dem Flughafen London Luton landet, wird der Labour-Abgeordnete Keith Vaz nach dem Rechten sehen. „Wir werden prüfen, welche Vorkehrungen getroffen worden sind“, verkündete er. Mit diesem Aktionismus liegt Vaz im Trend: Knapp vor Inkrafttreten des vollen Zugangs zum Arbeitsmarkt für Bulgaren und Rumänen zu Jahresbeginn hat die Regierung im Eilgesetz noch Verschärfungen der Sozialbestimmungen durchgepeitscht.

Dabei geht es dem Kabinett unter Premierminister David Cameron in erster Linie darum, Handlungsstärke zu demonstrieren. Auf bis zu 50.000 Personen für die nächsten fünf Jahre schätzt die Anti-Einwanderungsorganisation Migration Watch UK die Zahl der Einwanderer aus den beiden Balkanstaaten nach Großbritannien. Beide Staaten bestreiten das vehement. Die britische Regierung ihrerseits hüllt sich über ihre Schätzungen in Schweigen.

Das hat vor allem einen Grund: Bevor die damalige Labour-Regierung 2004 der völligen Öffnung des Arbeitsmarkts für die acht neuen EU-Mitglieder zustimmte, sprach man davon, dass „nicht mehr als 13.000“ Menschen den Weg aus Polen, dem Baltikum und Mitteleuropa nach Großbritannien finden würden. Gekommen sind Millionen: Mit 63,7 Millionen Menschen leben heute um fünf Millionen mehr Personen im Vereinigten Königreich als bei der letzten Volkszählung vor der EU-Erweiterung 2001. Auch wenn die Dunkelziffer hoch bleibt, ist ein Großteil des Zuwachses wohl auf Zuwanderung zurückzuführen.

Diese massive Veränderung hat der britischen Wirtschaft und dem Staatshaushalt enorm genützt: Die Einwanderer zahlen im Jahr 8,8 Milliarden Pfund (10,5 Milliarden Euro) mehr an Abgaben an den Staat, als sie an Leistungen bekommen. Nach einer Studie der Citibank haben Einwanderer rund ein Drittel des Wirtschaftswachstums der vergangenen zehn Jahre erwirtschaftet. Dazu trug ihr hohes Ausbildungsniveau bei: Während 45,6 Prozent über einen höheren Abschluss verfügen, sind es unter den „Eingeborenen“ nur 26,6 Prozent. Dennoch wird die Zuwanderung von vielen als Belastung wahrgenommen. Die ohnehin Not leidende Infrastruktur kann mit dem starken Zuzug kaum fertig werden: Bei Wohnraum, Verkehr, Schulen und medizinischer Versorgung hat sich die Lage ernsthaft zugespitzt. Heute ist Großbritannien nach Malta das am dichtesten besiedelte Land der EU – mit stark wachsender Tendenz. „Wir müssten theoretisch die nächsten 20 Jahre jeden Tag 200 Häuser fertigstellen“, sagt Andrew Green von Migration Watch UK. Nach allen Umfragen betrachten die Briten die Einwanderung als ihre zweitgrößte Sorge nach der Wirtschaftslage.

Gehetzt von der europafeindlichen UKIP-Partei, der rechten Boulevardpresse und Organisationen wie Migration Watch UK setzen die Großparteien vor allem auf Härte gegen vermeintliche Sozialschmarotzer. „Unser Land ist nur für die offen, die etwas leisten wollen“, sagt Cameron. Wenn die Labour Party, die sich für die Öffnung 2004 anscheinend gar nicht genug entschuldigen kann, etwas zu kritisieren hat, dann nur, dass die Maßnahmen nicht hart genug seien.

Cameron wird dabei immer mehr zum Opfer der von ihm selbst mit geschürten EU-Feindlichkeit. Seine Kritiker treiben ihn vor sich her und verknüpfen mittlerweile bereits Härte gegen Einwanderer mit der EU-Mitgliedschaft.

Problem nur vorgetäuscht?

150.000 Bulgaren und Rumänen arbeiten seit dem EU-Beitritt 2007 legal in Großbritannien. Bisher mussten sie alle sechs Monate ihre Arbeitserlaubnis neu beantragen. Dies fällt nun weg. Dass Vaz am Mittwoch Millionen Neueinreisenden begegnen wird, glauben nicht einmal Panikmacher. Mit der Verschärfung des Zugangs zum Arbeitslosengeld „täuscht die Regierung ein Problem vor, um dann so tun zu können, als würde sie etwas dagegen machen“, meint Jonathan Portes, Chef des Wirtschafts- und Sozialforschungsinstituts NIESR. Auch die Briten sind möglicherweise in ihrer Haltung einen Schritt weiter als ihre Politiker: 68 Prozent sagten nach einer Umfrage des „Observer“ von Sonntag, „Migranten, die sich integrieren und hart arbeiten, sind uns willkommen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.12.2013)

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