Die britische Regierung rückt eine Studie über die Auswirkungen der EU-Migration auf das Sozialsystem nicht heraus. Sie dürfte nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben.
Brüssel/Wien. So dürften sich David Cameron und Theresa May die Sache doch nicht vorgestellt haben: Als der britische Regierungschef seine Innenministerin im Vorjahr damit beauftragte, eine Studie über die Auswirkungen des Zuzugs von EU-Ausländern zu erstellen, dürfte er auf Munition im Kampf gegen Brüssel und die – in seinen Augen schädliche – Arbeitnehmerfreizügigkeit, die das britische Sozialnetz über Gebühren belastet, gehofft haben. Die Veröffentlichung des Berichts war ursprünglich für Dezember angesetzt, wurde dann kurzfristig auf den Jahresbeginn 2014 verschoben, und wie die „Financial Times“ erfahren hat, nun bis auf die Zeit nach der Europawahl auf Eis gelegt. Der Grund dürfte sein, dass die Wirklichkeit nicht mit Camerons Arbeitshypothese übereinstimmt.
Trotz aller Bemühungen soll es May nicht gelungen sein, schädliche Auswirkungen der Migration zu beziffern. Dessen nicht genug: Just vergangene Woche erklärte Robert Chote, der Chef des Office for Budget Responsibility, den Parlamentariern in London, dass eine Einschränkung des Zuzugs das britische Budget negativ beeinflussen würde – demnach zahlen EU-Ausländer mehr ins Sozialsystem ein, als sie erhalten.
Dies belegt auch eine Studie unter Leitung des Migrationsforschers Christian Dustmann aus dem Jahr 2010. Sie untersuchte die Auswirkungen der Arbeitsmarktöffnung für Personen aus den 2004 beigetretenen EU-Staaten. Demnach lagen die Einnahmen des britischen Staates durch diese Arbeitsmigranten und ihrer Familien 1,21-mal über den für sie aufgewandten Ausgaben. Sie profitierten vom Sozialsystem ihres Gastlands also weniger als Inländer. Dabei zahlten diese Zuwanderer im Durchschnitt pro Person sogar weniger als Inländer ein. Die meisten haben nämlich ein geringeres Einkommen und damit auch weniger Verpflichtungen.
Als einen Grund, warum die Zuwanderer Nettozahler sind, nennt die Studie das junge Alter der EU-Migranten. Sie benötigten weniger Leistungen aus dem Gesundheitssystem und klarerweise auch weniger aus dem Pensionssystem. Die Angst, dass dieser positive Effekt nach und nach reduziert werden könnte, wird von den Studienautoren nicht automatisch geteilt. Sie führen an, dass frühere Zuwanderungswellen gezeigt hätten, dass die Migranten mit zunehmendem Aufenthalt auch mehr verdienten und damit auch mehr in das Sozialsystem einzahlen müssten.
Schweden profitierte auch
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine neue Arbeit des schwedischen Zuwanderungsexperten Joakim Ruist von der Universität Göteborg. Er hat in Anlehnung an die Berechnungen von Dustmann die Auswirkungen in seinem eigenen Land erhoben. Ruist kommt zu dem Ergebnis, dass es auch in Schweden trotz seines großzügigen Sozialsystems eine positive Bilanz gegeben hat. Schweden hat wie Großbritannien und Irland keine Übergangsregelung für die Öffnung des Arbeitsmarkts ab 2004 in Anspruch genommen. Der schwedische Staat hat 1,12-mal mehr durch die EU-Migranten eingenommen, als er für sie ausgegeben hat.
Warum dann die Aufregung? EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ortet dahinter den Versuch, die Freizügigkeit in der EU durch unlautere Argumente einzuschränken. Das sei der „nationale Chauvinismus“ einiger Staaten, kritisierte er am Mittwoch.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2014)