Griechenland: Wurden Sparmaßnahmen erpresst?

Othmar Karas
Othmar Karas(c) APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU
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Die Bevölkerung macht die Troika für die hohe Arbeitslosigkeit und das marode Gesundheitssystem verantwortlich. Deren Arbeit wurde jetzt von einer EU-Delegation durchleuchtet.

Athen. Hinter dem Athener Parlamentsgebäude blitzen die ersten Sonnenstrahlen hervor und werfen ein freundliches Licht auf den Syntagma-Platz. Porträtisten arrangieren ihre Bildersammlung, Geschäftsleute eilen ins Büro, die Cafés füllen sich. Eine harmonische Szenerie, doch nur auf den ersten Blick. Die Jugendlichen, die sich am Springbrunnen lustlos die Zeit vertreiben, sind arbeitslos – und sie teilen dieses Schicksal mit mehr als der Hälfte ihrer Altersgenossen im Land. Eine jahrelange, tiefe Rezession hat viele Griechen den Job gekostet.

Über die Schuldigen sind sich die meisten hier einig. Es seien die restriktiven Sparmaßnahmen, die die internationale Geldgeber-Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) dem Land im Zuge eines mittlerweile vier Jahre dauernden Hilfsprogramms verordnet habe. Von einer selbstkritischen Reflexion ist wenig zu spüren. So schnell wie möglich will sich denn auch die griechische Regierung von den strengen Kontrolleuren befreien und schon Ende dieses Jahres langsam an die Finanzmärkte zurückkehren.

Doch bis dahin ist es ein weiter Weg; und die sozialen Folgen der Krise werden noch viele Jahre spürbar bleiben. Besonders das Gesundheitssystem hat massiv gelitten. Drei Millionen Griechen sind nach Angaben der nationalen Gesundheitsorganisation nicht versichert – das sind 27,7 Prozent der Gesamtbevölkerung. Weil sich viele Frauen die Kosten einer Schwangerschaft – Untersuchungen, Medikation etc. – nicht mehr leisten können, ist die Geburtenrate stark zurückgegangen, die Zahl der Totgeburten dafür rasant gestiegen.

„Pistole an den Kopf gehalten“

Dass die Troika für diese Missstände (Mit-)Verantwortung trägt, weil sie die negativen Auswirkungen der Reformprogramme nicht ausreichend einkalkuliert hat, ist nicht nur für die griechische Bevölkerung eine ausgemachte Sache. „Sie haben der Regierung die Pistole an den Kopf gehalten“, behauptet auch der sozialdemokratische EU-Abgeordnete Liem Hoang Ngoc. Gemeinsam mit Delegationsleiter Othmar Karas (ÖVP) bereiste er in dieser Woche Athen mit der Mission, die Arbeit der Troika vor Ort zu evaluieren. Auf konkrete Fehler von EU-Kommission, IWF und EZB bei der Implementierung der Sparmaßnahmen wollten sich die Abgeordneten jedoch auch nach Gesprächen mit Finanzminister Ioannis Stournaras, dem stellvertretenden Zentralbankgouverneur, und mehreren Bürgerorganisationen nicht festlegen: „Wir haben nicht das Mandat, alle Teile des Hilfsprogramms zu evaluieren“, so Karas.

Im Athener Parlament ist die Stimmung anlässlich des Besuchs aus Brüssel aufgeheizt. „Die Politik der Troika hat die Gesellschaft gespaltet“, heißt es da, „die Schäden sind nicht zu reparieren.“ Karas versucht zu kalmieren. Er will das Kontrollinstrument künftig neu gestalten und vom Europaparlament ständig überprüfen lassen.

Für die griechische Regierung sind derzeit andere Fragen vorrangig: Weil sich die Lage immer noch nicht stabilisiert hat, hofft Athen auf grünes Licht für eine Erleichterung der Kreditkonditionen der Euroländer in Form einer Verlängerung der Kreditlaufzeiten oder einer Senkung der Zinsen. Von einem kolportierten Schuldenschnitt der öffentlichen Gläubiger will in Athen offiziell niemand etwas wissen. „So etwas zerstört Vertrauen“, lautet der offizielle Tenor.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2014)

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