Wenn das eigene Auto um Hilfe ruft

Aufgestelltes Pannendreieck
Aufgestelltes Pannendreieck(c) BilderBox (bilderbox.com)
  • Drucken

Ab 2015 sollen alle neuen Pkw-Modelle in der EU mit einem sogenannten E-Call-System ausgestattet sein, das bei einem Unfall automatisch Polizei und Rettung verständigt.

Brüssel. Es ist ein hoffnungsfrohes Bild, das der internationale Automobilverband FIA in einem im vergangenen November präsentierten Kurzfilm zeichnet: Das Auto der Zukunft wird demnach aufmerksam, intelligent und mit der Umgebung vernetzt sein, um seinen Lenker zu entlasten, die Unfallgefahr zu minimieren und gegebenenfalls die Rettungskräfte zu alarmieren. „Die neue Fahrzeuggeneration wird ähnlich funktionieren wie ein Smartphone“, prognostiziert der niederländische Formel-1-Pilot Giedo van der Garde in dem FIA-Videoclip – und das sei gut für die Sicherheit im Straßenverkehr.

Dieser Zukunft ist die EU vor wenigen Tagen ein Stück näher gekommen: Der Verkehrsausschuss des Europaparlaments stimmte am vergangenen Donnerstag für einen Vorschlag der EU-Kommission zur verpflichtenden Einführung eines automatischen Notrufsystems im Oktober 2015. Ab diesem Zeitpunkt sollen alle neuen Modelle von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen mit einem sogenannten E-Call-System ausgestattet sein. Nachdem der Verordnungsvorschlag mit den Stimmen der zwei größten Fraktionen (der Europäischen Volkspartei und der Sozialdemokraten) im Ausschuss bestätigt wurde, gilt die Zustimmung des Binnenmarktausschusses kommende Woche sowie des Plenums Ende Februar als relativ sicher.

Bei E-Call handelt es sich um einen Bordcomputer, der Position und Zustand des Fahrzeugs erfasst. Gerät das Auto in einen schweren Unfall, wird das System automatisch über Sensoren ausgelöst und übermittelt daraufhin per Mobilfunk alle wichtigen Unfallinformationen an die nächstgelegene Notfallzentrale, genutzt wird dabei die europäische Notrufnummer 112. Vorgesehen ist aber auch ein Alarmknopf, damit der Fahrer eigenständig (etwa bei einem Schwächeanfall) um Hilfe rufen kann. „Gerade in ländlichen Gebieten ermöglicht das System schnelle Rettungseinsätze“, sagt der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer. Nach Schätzungen der Kommission aus dem Jahr 2005 (so lange wird schon über das Thema beraten) sollte E-Call in den damals 25 EU-Mitgliedstaaten die Zahl der Verkehrstoten pro Jahr um 2500 reduzieren. In einer finnischen Studie wurde der Rückgang der Todesfälle mit vier bis acht Prozent beziffert. Nach Ansicht der Brüsseler Behörde könnte E-Call zudem für andere Funktionen genutzt werden, etwa zur Ortung gestohlener Autos. Die EU-Kommission beruft sich dabei auf eine Eurobarometer-Umfrage, der zufolge 70 Prozent der EU-Bürger ein E-Call-System in ihrem nächsten Pkw haben möchten.

Konstante Ortung?

Doch das System ist nicht unumstritten. Der grüne Europarlamentarier Jan Philipp Albrecht etwa lehnt den Vorschlag in seiner jetzigen Form ab – und zwar wegen der Verletzung der Grundrechte. Eine manuelle Deaktivierung von E-Call sei nämlich nicht vorgesehen – was zur Folge hätte, dass die Position des Fahrzeugs jederzeit bestimmt werden könne. Den eingangs erwähnten Vergleich mit einem Smartphone will Albrecht jedenfalls nicht gelten lassen: „Ein Handy kann man auf Flugmodus schalten, das Auto aber nicht.“ Seiner Ansicht nach müsste es möglich sein, dass sich das System erst im Fall eines Unfalls einschaltet (etwa, wenn der Airbag ausgelöst wird) und nicht konstant die Position überträgt. Zwar sieht der Kommissionsentwurf nicht vor, dass die durch E-Call generierten Daten gespeichert werden, das System könnte aber dennoch „Begehrlichkeiten wecken“, warnt Albrecht.

Die kommerzielle Nutzung von Standortdaten ist nicht neu. Die Versicherungsgesellschaft Uniqa beispielsweise bietet seit Ende 2007 ein sogenanntes Safe-Line-Versicherungspaket an: Mittels eingebauter Box (die über Crash-Sensoren, Ortung und einen Notfallknopf verfügt) werden die gefahrenen Kilometer erfasst – wer wenig fährt, zahlt eine geringere Versicherungsprämie. Nach Angaben von Uniqa nutzen derzeit rund 50.000 Kunden (hauptsächlich Privatpersonen) Safe-Line; an eine Kombination mit E-Call sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gedacht, hieß es gestern.

AUF EINEN BLICK

E-Call ist ein Bordcomputer, der mittels Sensoren Position und Zustand des Fahrzeugs ermittelt und im Fall des Falles alle relevanten Daten automatisch (per EU-Notrufnummer 112) an die nächstgelegene Notfallzentrale übermittelt. Nach Schätzungen der EU-Kommission soll der flächendeckende Einsatz des Systems die Reaktionszeit der Hilfskräfte im ländlichen Raum um die Hälfte verkürzen und die Zahl der Verkehrstoten um 2500 pro Jahr reduzieren. Brüssel will E-Call ab Oktober 2015 für alle neuen Automodelle verpflichtend machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.