Karlsruhe stellt sich gegen die EZB

European Central Bank (ECB) President Draghi reads a paper during the monthly ECB news conference in Frankfurt
European Central Bank (ECB) President Draghi reads a paper during the monthly ECB news conference in Frankfurt(c) REUTERS
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Das deutsche Verfassungsgericht ruft den EuGH an: Die EU-Richter sollen prüfen, ob die Europäische Zentralbank mit dem Anleihenkaufprogramm OMT ihr Mandat überschritten hat.

Brüssel. Es waren exakt zwei Sätze, mit denen die Schuldenkrise in der Eurozone vor eineinhalb Jahren eine Wendung zum Besseren nahm: „Innerhalb unseres Mandats ist die Europäische Zentralbank bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, das wird reichen.“ Mit diesen Worten kündigte EZB-Gouverneur Mario Draghi am 26. Juli 2012 bei einer Konferenz in London an, dass die Notenbank der Eurozone die Einheitswährung um jeden Preis verteidigen werde. Draghis Geheimwaffe trägt die Bezeichnung OMT (Outright Monetary Transactions) – dahinter verbirgt sich nichts anderes als das Versprechen, die EZB werde im Fall des Falles alle kurzfristigen Staatsanleihen überschuldeter Euromitglieder aufkaufen, um einen Staatsbankrott (und in der Folge den Zerfall der Eurozone) zu verhindern. An den Finanzmärkten wurde dieser Wink mit dem Zaunpfahl sofort verstanden: Die Fieberkurven der europäischen Patienten – also ihre Anleihezinsen – rasselten in den Keller, der Euro-GAU war damit verhindert.

Seit gestern ist allerdings klar, dass Draghi seinen Mund damals möglicherweise etwas zu voll genommen hat. Am Freitag ersuchte nämlich das deutsche Bundesverfassungsgericht überraschend den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um die Überprüfung der Legalität von OMT. Nach Einschätzung der Richter in Karlsruhe (von denen zwei allerdings abweichende Meinungen hatten) überschreitet die EZB damit möglicherweise ihre Befugnisse. Im Hauptquartier der Notenbank sieht man das naturgemäß anders: „Die EZB unterstreicht erneut, dass das OMT-Programm im Rahmen ihres Mandats ist“, hieß es gestern aus Frankfurt.

Der Preisstabilität verpflichtet

Das Mandat der EZB ist im internationalen Vergleich relativ eng gefasst. Anders als etwa die Bank of England oder die US-Notenbank Fed, zu deren Aufgaben auch die Lenkung der Konjunktur gehört, ist die Europäische Zentralbank einzig der Preisstabilität in der Eurozone verpflichtet. Die Monetarisierung von Staatsschulden – also die Schaffung frischen Geldes zwecks Tilgung von Verbindlichkeiten – ist strengstens verboten. Tendenziell gilt: Je mehr Geld in eine Volkswirtschaft gepumpt wird, desto weniger ist dieses Geld wert und desto höher ist folglich die Inflation.

Kritiker von OMT sehen in dem Programm das Paradebeispiel einer verbotenen Geldschöpfung. Dessen Befürworter wiederum verweisen darauf, dass OMT erstens nur den Kauf von kurzfristigen Staatsanleihen (mit einer Laufzeit von maximal drei Jahren) vorsieht und zweitens an strenge Auflagen geknüpft ist: Damit die EZB einem Krisenstaat unter die Arme greift, muss er zuvor den Euro-Rettungsschirm ESM in Anspruch nehmen und sich zu Reformen verpflichten. Drittes Gegenargument ist die Inflationsrate in der Eurozone, die momentan weit unter dem EZB-Zielwert von knapp zwei Prozent verharrt – von Geldentwertung kann also nicht die Rede sein.

Allerdings muss man an dieser Stelle hinzufügen, dass es sich um eine theoretische Debatte handelt: Das OMT-Programm wurde bisher kein einziges Mal in Anspruch genommen. Draghis Signal der Entschlossenheit hat bis dato ausgereicht, um die Wogen an den Finanzmärkten zu glätten.

Doch genau diese Signalwirkung ist nun infrage gestellt, denn solange die Angelegenheit nicht geklärt ist, wird die EZB ihre Geheimwaffe wohl kaum einsetzen können – auch wenn es derzeit nicht danach aussieht, dass sie auch tatsächlich benötigt werden könnte. Unter Experten herrschte am Freitag dennoch Besorgnis: „Finanzmärkte halten sich selten an die Zeitpläne von Gerichten“, warnte Marcel Fratzscher, der Chef des Berliner Wirtschaftsforschungsinstituts DIW. Der deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, wiederum ließ wissen, er hoffe auf ein zügiges EuGH-Verfahren.

Die Karlsruher Entscheidung ist aber auch aus einem anderen Grund signifikant: Die deutschen Verfassungsrichter haben damit nämlich klargestellt, dass sie sich prinzipiell nicht für befugt halten, über die Aktivitäten der EZB zu befinden. Carsten Nickel vom Thinktank Teneo Intelligence wertet das als Etappensieg für Draghis Unterstützer: Der EuGH sei proeuropäischer eingestellt als das Bundesverfassungsgericht und sollte daher eher der Argumentationslinie der EZB folgen. Gänzlich aus europäischen Angelegenheiten zurückziehen werden sich die deutschen Richter allerdings nicht: Am 18.März wird Karlsruhe über die Legalität von ESM befinden.

AUF EINEN BLICK

OMT(Outright Monetary Transactions) ist eine Notmaßnahme der EZB zur Eindämmung der Eurokrise. Das 2012 von EZB-Chef Mario Draghi vorgestellte Programm sieht vor, dass die Zentralbank kurzfristige Anleihen von Krisenstaaten kauft, um ihre Finanzen zu stabilisieren und in der Folge den
Zerfall der Eurozone zu verhindern. Voraussetzung für OMT ist, dass sich
der Patient zu Reformen verpflichtet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.02.2014)

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