Freizügigkeit: Es gibt Briten, die Europa lieben

(c) EPA (ROBIN UTRECHT)
  • Drucken

Während die Regierung in London über eine Einschränkung der Zuwanderung aus der EU nachdenkt, gehen britische Staatsbürger weiterhin zu Tausenden ins EU-Ausland.

London. Das neue Leben beginnt oft mühselig: „Wann verwandelt sich die Angabe ,renovierungsbedürftig‘ in ,Ruine‘?“, möchte ein genervter Poster auf der Website www.britishexpats.com von Landsleuten wissen, die wie er mit dem Hauserwerb in Portugal ihre liebe Not haben. „Ich könnte auch einen Anwalt einschalten, aber ich habe gehört, das Internetforum ist besser und billiger“, schreibt der Poster weiter. Dem Mann, vermutlich Schotte, kann geholfen werden: Allein in Portugal haben sich 39.000 Briten dauerhaft niedergelassen. Erfahrungsaustausch gibt es reichlich.

Glaubt man manchen britischen Politikern, steht das Vereinigte Königreich seit Jahresbeginn mit dem Wegfall von Zugangsbeschränkungen für Bulgaren und Rumänen vor der nächsten Völkerwanderung. Die mancherorts bewusst geschürte Hysterie verbirgt aber, dass Großbritannien nicht nur eine wichtige Einwanderungsdestination in der EU geworden ist, sondern dass die Briten selbst die führende Auswanderernation Europas sind. Auf bis zu sechs Millionen schätzt das Londoner Außenministerium die Zahl der dauerhaft im Ausland lebenden Briten, dies entspricht fast zehn Prozent der Bevölkerung.

Im Jahr 2010 lebten mit 2,2 Millionen praktisch gleich viele Briten in anderen EU-Staaten wie EU-Bürger (2,3 Mio.) in Großbritannien. Wie aus der aktuellen Beantwortung einer Anfrage im House of Lords hervorgeht, suchen die Briten im Ausland vor allem das Dolce Vita: Über eine Million von ihnen leben allein in Spanien. Hier sind an der Costa del Sol und den ebenfalls besonderes beliebten Balearen-Inseln britische Subkulturen entstanden, in denen man Interessen, Freuden, aber auch Nöte teilen kann. Die Verbindungen in die Heimat bleiben oft eng: Viele Briten lernen selbst im Ausland keine Fremdsprache, gehen immer noch in Union-Jack-Badehosen auf den Strand, und als vor wenigen Tagen die BBC den Empfang ihrer Inlandssendungen vom Satelliten nahm, „brach hier fast ein Aufstand aus“, berichtet der pensionierte Journalist Chris Buckland von der Costa Tropical. „Viele sind wie kopflose Hühner herumgelaufen und waren aufgelöst.“

Pension im warmen Süden

Buckland ist einer von 440.000 britischen Pensionisten, die ihren Ruhestand abseits der Unbilden der britischen Inseln mit schlechtem Wetter, seltsamen Speisen und zugeknöpften Mitbürgern genießen wollen. Doch selbst an ihnen geht der rigorose Sparkurs der Londoner Regierung nicht folgenlos vorüber: Zu Winterbeginn strich das Sozialministerium den Pensionisten in Spanien, Portugal und Zypern den Heizkostenzuschuss, auf den alle Briten im Ruhestand Anspruch haben.

Dafür machten die Liberaldemokraten vor wenigen Tagen den Voschlag, für britische Auswanderer eigene Wahlkreise zu schaffen. Bisher verliert ein britischer Staatsbürger nach 15 Jahren im Ausland sein Wahlrecht. Befürworter eines Auslandswahlkreises verweisen darauf, dass in Spanien heute mehr Briten leben als in der Grafschaft Devon im Südwesten Englands.

Neben Spanien ist eine große Zahl an Briten auch nach Frankreich (330.000), Irland (329.000), Deutschland (107.000), Zypern (65.000) und Griechenland (45.000) gezogen. Dennoch bleiben die führenden Destinationen für Briten die ehemaligen Kolonien, vor allem Australien, USA und Kanada.

Während die letzten verfügbaren Gesamtzahlen für Ein- und Auswanderung aus dem Jahr 2010 stammen, lässt sich freilich in der letzten Zeit eine Zunahme der Netto-Immigration erkennen. Von Juni 2012 bis Juni 2013 wanderten 167.000 Menschen mehr nach Großbritannien ein als aus. Die Auswanderung ist seit Jahren rückläufig, von einem Höchststand von 427.000 im Jahr 2008 fiel sie auf 320.000 Ende des Vorjahrs, dem niedrigsten Niveau seit 2001.

Die Ursachen sind vielfältig: Das Pfund hat seit der Krise 2008 stark an Kaufkraft verloren, viele Immobilien in Spanien oder Griechenland haben massiv an Wert eingebüßt und zuletzt hat sich die britische Wirtschaft wieder rascher erholt als die europäische. Und dann ist da noch etwas: Heimweh. Es nagt auch an vielen britischen Expats. Abhilfe verspricht das Unternehmen British Corner Shop. Es wurde 1999 an einem Küchentisch in Bristol gegründet. Heute liefert es typische britische Lebensmittel in 130 Länder der Welt.

AUF EINEN BLICK

Großbritannien. Die britische Regierung will die EU-Personenfreizügigkeit einschränken. Das würde nicht nur ungeliebte Zuwanderer treffen, die auf die Insel strömen, sondern auch eigene Bürger, die in Massen in das europäische Ausland wandern. 2,2 Millionen britische Staatsbürger lebten 2010 in einem anderen EU-Staat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.