RH-Bericht: Wenn U-Bahnen ins Blaue führen

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Verkehrsmittel(c) EPA (ANDRZEJ GRYGIEL)
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Der Europäische Rechnungshof hat die Förderpolitik der Union beim Ausbau städtischer Verkehrsmittel untersucht. Sein Fazit: Überraschend viele Verbindungen werden an der Kundschaft vorbeigebaut.

Brüssel. Wer an mit EU-Geldern kofinanzierte Infrastrukturprojekte denkt, hat schnell das Zerrbild von Autobahnen nach nirgendwo und menschenleeren Abflughallen vor dem geistigen Auge. Dass dieses Klischee nur in den allerwenigsten Fällen zutrifft, liegt ebenso auf der Hand wie die Tatsache, dass sich große Verkehrsprojekte nie zu hundert Prozent im Voraus planen lassen – man denke etwa an die unendliche Geschichte des neuen Terminals in Schwechat.

Dieselben Probleme bei der Planung treffen auch auf Bauvorhaben im urbanen Bereich zu – zu diesem Schluss kommt jedenfalls der Europäische Rechnungshof, der soeben einen Bericht über die Wirksamkeit von EU-Förderungen beim Ausbau der Nahverkehrsmittel vorgelegt hat. Das Fazit der Luxemburger Experten: An Kostendisziplin und Pünktlichkeit gab es zuletzt wenig auszusetzen. Die Achillesferse der EU in diesem Bereich ist allerdings die Zweckmäßigkeit der Projekte. Denn offenbar werden in europäischen Städten in schöner Regelmäßigkeit U-Bahnen, Straßenbahnen und Züge an der Kundschaft vorbeigebaut.

Seit dem Jahr 2000 hat die EU gut zehn Milliarden Euro in die Hand genommen, um den städtischen Nahverkehr zu fördern – eine logische Priorität angesichts der Prognose, wonach der Anteil der in Agglomerationen lebenden EU-Bürger von derzeit 73 Prozent auf 82 Prozent im Jahr 2050 steigen wird. Um die Effektivität dieser EU-Förderpolitik zu überprüfen, hat der Europäische Rechnungshof fünf Länder unter die Lupe genommen: Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Polen – in das größte EU-Mitgliedsland in Osteuropa floss mit knapp 2,9 Mrd. Euro von 2000 bis 2013 ein Löwenanteil der Fördergelder. Portugal konnte im selben Zeitraum knapp 1,1 Mrd. Euro lukrieren, in Italien kamen 726 Mio. Euro an, in Spanien 346 Mio., in Frankreich 290 Mio. Euro.

Gute Kostendisziplin...

Untersucht wurden insgesamt 26Projekte in elf Metropolen, und nur vier davon – zwei in Italien, zwei in Portugal – waren zeitlich massiv im Verzug. Die rote Laterne hatte mit einem Rückstand von vier Jahren die Verlängerung der Metrolinie L1 in Neapel um sechs Stationen, die zum Zeitpunkt der Erstellung des Berichts immer noch nicht abgeschlossen war.

Auch was den Einsatz der Gelder anbelangt, fanden die Prüfer des Rechnungshofs wenig Grund zur Sorge. Bei einem Drittel der kofinanzierten Projekte musste das Budget nicht revidiert werden, nur drei Projekte hatten einen Kostenüberhang von mehr als 20 Prozent: der Bau von zwei S-Bahnlinien in Portugal sowie die Verlängerung der U-Bahnlinie 1 in der polnischen Hauptstadt, die mit geologischen Problemen zu kämpfen hatte (der Untergrund erwies sich als derart instabil, dass die Tunnel verstärkt werden mussten).

...schlechte Auslastung

Die eigentliche Schwachstelle der EU-Förderpolitik ist allerdings die mangelhafte Überprüfung der Sinnhaftigkeit von neuen städtischen Verkehrsmitteln. Denn von zwölf untersuchten Projekten, bei denen es im Vorfeld konkrete Vorgaben hinsichtlich der Passagierzahlen gegeben hatte, erreichten nur zwei – eine Straßenbahn in Italien und eine Buslinie in Frankreich – die gewünschte Auslastung. Die restlichen zehn blieben (zum Teil meilenweit) hinter den selbst gesteckten Zielen. Negativer Spitzenreiter in dieser Hinsicht war eine neu gebaute S-Bahn in Portugal, die 87 Prozent weniger Passagiere hatte als erwartet.

Dem EU-Rechnungshof zufolge gibt es zwei Ursachen für diese Fehlplanungen. Erstens würden die Kommunen zu wenig Anstrengungen unternehmen, um den Bedarf im Vorfeld zu ermitteln. Außerdem würden zu oft Linien ins Blaue gebaut, ohne dabei an die Anbindung an das restliche Verkehrsnetz zu denken. (la)

AUF EINEN BLICK

Der Rechnungshof der EU hat für seine Studie 26 städtische Bauvorhaben in fünf Ländern (Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Polen) im Zeitraum 2000 bis 2013 untersucht. In dieser Zeit hat die EU 10,7 Mrd. Euro in die Hand genommen, um den Ausbau der städtischen Nahverkehrsmittel zu fördern. Der Löwenanteil dieser Mittel – also knapp drei Mrd. Euro – floss nach Polen, wo es einen besonders großen Nachholbedarf bei der Verkehrsinfrastruktur gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2014)

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