Überalterung: Teures Europa der Greise

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Im Jahr 2060 werden die Europäer alt aussehen: Fast jeder Dritte gehört dann zur Generation 65 plus. Österreich ist davon besonders betroffen: Kein anderes Land lässt sich seine Pensionisten so viel kosten.

Berlin. Zuerst die gute Nachricht: Auf den medizinischen Fortschritt scheint Verlass zu sein. Denn die Lebenserwartung in Europa steigt seit vielen Jahrzehnten wie mit dem Lineal gezogen an. Am sonnigen Mittelmeer lebt man übrigens am längsten. Auch Österreich liegt über dem EU-Mittel: Auf über 81Lebensjahre dürfen hier geborene Babys hoffen. Nur schade, dass es so wenige von ihnen gibt. Die Kombination aus langem Ruhestand und wenig Nachwuchs verheißt für die sozialen Sicherungssysteme nichts Gutes.

Die Eurostat-Prognostiker in Brüssel wissen, was in wenigen Jahren auf uns zukommt: eine massive Alterungswelle, besonders in den osteuropäischen Mitgliedstaaten, die davon heute noch wenig merken. Bis zum Jahr 2060 wird in der EU der Anteil der über 65-Jährigen von heute 18 auf dann 30Prozent steigen.

Für die kühlen Rechner bei den Pensionsversicherungen ist der sogenannte Altenquotient relevanter, das Verhältnis der Zahler zu den Empfängern von Beiträgen. Er wird dann über 50 Prozent liegen. Das bedeutet: Nur noch zwei Arbeitende müssen einen Pensionisten finanzieren. Extrem hoch wird die Kennzahl in Polen, Italien und Deutschland sein. Österreich sollte leicht unter dem Schnitt bleiben. Allerdings gibt kein anderes EU-Land heute schon so viel für seine Älteren aus: Jeder Österreicher zahlt im Jahr über 5000 Euro für ihr Wohlergehen. Das rechnet eine Studie des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI) vor, die vorige Woche in Berlin präsentiert wurde.

Italien als Vorbild

Mehr noch: Während die demografischen Problemstaaten Deutschland und Italien die Gefahr erkannt und ihre Pensionssysteme durch einschneidende Reformen nachhaltig gemacht haben, gilt das für Österreich nur sehr eingeschränkt. Zum Vergleich: Zwischen 2000 und 2011 sind in Deutschland die jährlichen Sozialausgaben pro über 65-Jährigen um 1200 Euro gesunken. In Österreich sind sie im gleichen Zeitraum um 4900 Euro gestiegen. Die Deutschen stellen ihren Vorsprung freilich durch ihr neues Rentenpaket infrage. Italien, lange Zeit nicht gerade für seinen Reformeifer berühmt, scheint in dieser Schicksalsfrage bis heute die richtigen Weichen zu stellen.

Das zeigt sich an der impliziten Staatsverschuldung. Dabei geht es um künftige Leistungsversprechen des Staates, die nicht durch Einnahmen gedeckt sind – vor allem Rentenzuschüsse und Beamtenpensionen. Ein ordentlicher Kaufmann müsste für sie Rückstellungen bilden, in öffentlichen Budgets scheinen sie aber nicht auf. Sie sind auch schwierig zu beziffern, weil sie von vielen Annahmen über die Zukunft abhängen. Aber der Trend steht fest: Deutschland hat diese versteckten Risken stark eingebremst. Italien schafft es sogar, sie ins Positive zu drehen und Reserven zu bilden. In den meisten anderen Ländern hingegen übersteigt die implizite Schuld die offizielle um ein Vielfaches. So auch in Österreich: Rechnet man sie voll ein, agiert der heimische Staat mit einer Nachhaltigkeitslücke, die zweieinhalbmal so groß ist wie die jährliche Wirtschaftsleistung.

Können mehr Kinder Abhilfe schaffen? Selbst würde die Geburtenrate von heute auf morgen auf das „bestandserhaltende“ Niveau von 2,1 Kindern pro Frau steigen, käme die Wende nur sehr träge in Gang. Denn die Kinderzahl geht schon lange zurück. Fehlende Töchter von gestern sind fehlende Mütter von heute. Zwar soll die Rate laut Prognose wieder nach oben gehen, aber nur sehr zaghaft.

Ohne Zuwanderung schrumpft Europas Bevölkerung so bis 2050 um 50 Millionen Menschen – was einer Entvölkerung von Polen und Griechenland entspricht. Die dominierende Binnenmigration wirkt nur in einzelnen Ländern wie Deutschland oder Österreich mildernd. In den osteuropäischen Staaten verschärft die Flucht der Jungen in den Westen die Probleme. Aus europäischer Perspektive kann nur Zuzug von außen helfen – von anderen Kontinenten. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2014)

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