Werner Weidenfeld: „Der große Wurf ist gelungen, Europas Teilung aufzuheben“

Symbolbild zur Krise in der Ukraine Personen stehen vor dem Umriss der Ukraine im Westen die Flagg
Symbolbild zur Krise in der Ukraine Personen stehen vor dem Umriss der Ukraine im Westen die Flagg(c) imago/Ralph Peters (imago stock&people)
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Werner Weidenfeld erklärt, warum es keinen Weg an der Erweiterung vorbei gab.

Die Presse: Die Osterweiterung vor zehn Jahren gilt als historischer Schritt der EU. War es damals auch ein riskanter Schritt?

Werner Weidenfeld: In der Politik kann immer alles schiefgehen. Damals war aber klar, dass diese Osterweiterung vollzogen werden musste. Schon in den Römischen Verträgen steht, dass an dieser Gemeinschaft jeder demokratische Staat in Europa teilnehmen kann. Es war dieser Demokratieanspruch, der zu einem großen historischen Schritt wurde.

Es gibt zahlreiche Analysen, dass die Osterweiterung ein wirtschaftlicher Erfolg war. War sie auch ein politischer Erfolg?

Natürlich kann man Details kritisch reflektieren. Etwa, ob es für Rumänien und Bulgarien nicht zu früh war. Aber der große Wurf, die Teilung Europas zu überwinden, ist durchaus gelungen. Das ganze Europa-Narrativ würde infrage gestellt, wenn jemand das heute als Fehler betrachtet. Das war die Komplettierung des großen Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg.

Vor zehn Jahren hieß es, die EU könne sich nicht erweitern, ohne sich gleichzeitig zu vertiefen.

Die EU hat sich ja auch vertieft. Das Mitentscheidungsverfahren des Europaparlaments ist umgesetzt worden. Wir haben de facto ein Zwei-Kammer-System. Selbst die Außen- und Sicherheitspolitik wurde ausgebaut. Was gefehlt hat, und was Deutschlands damaliger Bundeskanzler Helmut Kohl ausgeführt hat, war die politische Union. Er hat es im Bundestag als „abwegig“ bezeichnet, eine Währungsunion ohne politische Union zu schaffen. Nachdem Maastricht den ersten Teil geliefert hatte – die Währungsunion –, war aber Sonnenschein. Es gab keinen Druck, mit der politischen Vertiefung fortzufahren. Erst als die Krise ausbrach, gab es im Monatstakt weitere Vertiefungsschritte – den Rettungsschirm, die Bankenunion. Das wird sich auch nach dieser Europawahl fortsetzen.

Viele Bürger sehen die Osterweiterung als Gefahr für ihre Sicherheit.

Es gab die Befürchtung auch in Deutschland, dass der Arbeitsmarkt völlig unterlaufen wird. Das hat aber so nicht stattgefunden. Wenn Sie sich das ganz cool ökonomisch ansehen, war das eine durchaus positive Entwicklung. Wenn die Politik allerdings selbst Stereotype produziert wie das Gefühl, dass plötzlich nur Hilfesuchende kommen, die unsere sozialen Systeme ausnutzen, dann darf sich niemand wundern. Dann franst das in der Wahrnehmung eben aus. Hier gibt es vonseiten der Politik ein Deutungs- und Erklärungsdefizit.

Einst gab es nach Ihrer Aussage keinen Weg an dieser Erweiterung vorbei. Wird das in Zukunft irgendwann auch mit Ländern wie der Ukraine so sein?

Bei der Ukraine ist das Grundempfinden der Westeuropäer anders als gegenüber Ungarn oder Tschechen. Sie steht eher am Rand einer europäischen Entwicklung. Und deshalb sehe ich derzeit den Druck in vergleichbarem Ausmaß nicht. Das kann natürlich irgendwann eine pragmatische Frage werden: Sollen wir sie näher an die EU rücken oder nicht?

ZUR PERSON

Werner Weidenfeld ist Politikwissenschaftler und ehemaliger Berater von Helmut Kohl. [ Teutopress ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)

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