Die EU-Abgeordneten fordern schon seit Langem, dass das EU-Parlament nur noch in Brüssel tagen sollte und die monatliche Straßburg-Woche entfällt. Frankreich aber wehrt sich erfolgreich dagegen
Wien. Monat für Monat packen 766 EU-Abgeordnete (künftig 751), deren Assistenten sowie hunderte parlamentarische Mitarbeiter und Dolmetscher ihre Koffer, um in das über 400 Kilometer entfernte Straßburg zu reisen. Züge, Busse und Flieger sind überfüllt, und auch auf den Autobahnen ist das Verkehrsaufkommen um ein Vielfaches höher als sonst: Immerhin müssen ja sämtliche Arbeitsunterlagen in großen Lastwagen in die Elsass-Metropole übersiedeln.
Der Streit um den zweiten Sitz des Europaparlaments schwelt schon lange. Ein Großteil der Mandatare wünscht sich, dass künftig die zwölfmal jährlich stattfindenden Plenarwochen in Brüssel abgehalten werden, wo auch Ausschuss- und Fraktionssitzungen stattfinden. Im vergangenen November gab es einen neuen Vorstoß: Mit 483 Ja- gegen 141 Nein-Stimmen votierten die Abgeordneten für eine eigene Entscheidung bei der Wahl ihres Arbeitsortes. Dazu wäre allerdings eine Änderung der EU-Verträge nötig – wofür das EU-Parlament die Zustimmung aller 28 Staats- und Regierungschefs benötigen würde. Schon bisher waren Initiativen, den monatlichen, millionenteuren Umzug nach Straßburg zu beenden, wegen des Vetorechts Frankreichs stets erfolglos. Paris ist deshalb sogar schon vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gezogen.
Alle Hotels ausgebucht
Dass sich Frankreich seit Jahr und Tag gegen eine Abschaffung der Straßburg-Woche wehrt, hat einen guten Grund: Der Wanderzirkus ist ein hervorragendes Geschäft für die 270.000-Einwohner-Stadt am Rhein. Sämtliche Hotels sind trotz satter Preisaufschläge lange im Voraus restlos ausgebucht, Restaurants, Bars und Cafés jeder Preisklasse während der Plenarwoche überaus gut besucht. Für die Stadt wäre ein Ende des monatlichen parlamentarischen Treibens also ein großer Verlust.
Die Argumente der Straßburg-Gegner wiegen dennoch schwer: Die Zweiteilung kostet einem Parlamentsbericht zufolge jedes Jahr bis zu 204 Millionen Euro und verursacht einen Ausstoß von bis zu 19.000 Tonnen Kohlendioxid. Hinzu kommt, dass in Straßburg 100 Angestellte permanent für das EU-Parlament arbeiten. Lediglich 42 Tage im Jahr wird das riesige Gebäude tatsächlich genutzt, 89 Prozent der verbleibenden Zeit steht es fast leer – und dennoch wird es durchgehend beheizt und verwaltet.
Zum Vergleich: In der belgischen Hauptstadt arbeiten über 4000 Menschen ständig für die Volksvertretung; ein Großteil der EU-Abgeordneten und Beamten wohnt also auch hier. In Luxemburg, wo sich ein Großteil der Verwaltung befindet, sind mehr als 2400 Menschen tätig – sie sind aber nicht vom Wanderzirkus betroffen.
Auch die österreichischen Mandatare treten beinahe geschlossen für ein Ende des teuren Wanderzirkus ein. „Wir wollen den Druck auf die EU-Mitgliedstaaten erhöhen“, sagte SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried jüngst. „Seit vielen Jahren kritisieren wir, wie sinnlos, umweltschädlich und verschwenderisch das monatliche Hin- und Herreisen sowie der parallele Betrieb zweier voll ausgebauter Parlamentsgebäude sind“, meint auch die Grüne Ulrike Lunacek.
FPÖ-Mandatare scheren aus
Die FPÖ-Mandatare Andreas Mölzer und Franz Obermayr bilden da eine Ausnahme. Wenn sie die Entscheidung über den Parlamentssitz selbst fällen könnten, würde Straßburg das Rennen machen, weil dies, so die offizielle Version, ein „Zeichen gegen den Zentralismus“ wäre. (aga)