Sekretariatszulage: Betrugsverdacht im EU-Parlament

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Neue Abrechnung soll Missbrauch durch Abgeordnete beenden.

STRASSBURG/WIEN. Über den Europaabgeordneten brauen sich neue dunkle Wolken zusammen. Erste Details aus einem Geheimbericht lassen darauf schließen, dass eine größere Zahl von Volksvertretern ihre Sekretariatszulage missbräuchlich verwendet hat. Mehrere Abgeordnete dürften laut dem liberalen britischen Europaabgeordneten Chris Davis Gelder für „fiktives Personal“ abgezweigt haben. Einige dieser Zulagen flossen auch an Familienangehörige. Insgesamt wurden durch die Parlamentsverwaltung 167 Abgeordnete überprüft. Ob auch bei Österreichern Unregelmäßigkeiten festgestellt wurden, ist bisher nicht bekannt.

Pro Monat steht den 785 Abgeordneten jeweils ein Betrag von 15.496 Euro für ihr Sekretariat zur Verfügung. Mit diesem Geld sind bis zu vier Angestellte finanzierbar. Einige Abgeordnete beschäftigen zwar nur ein bis zwei Mitarbeiter, versuchten aber offenbar trotzdem, die volle Zulage abzuschöpfen. Dabei entwickelten sie echte Kreativität. Ein Abgeordneter soll für einen seiner Angestellten ein fürstliches Weihnachtsgeld in der Höhe von 19 Monatsgehältern verrechnet haben. Ein Hinweis auf fiktive Mitarbeiter ist auch die fehlende Überweisung von Sozialversicherungsbeiträgen an belgische Behörden.

Haftstrafen möglich

„Der Bericht ist Dynamit“, zitiert BBC den Abgeordneten Chris Davis, der als einer der wenigen bisher in das geheime Papier Einsicht nehmen durfte. Er hält die darin erhobenen Betrugsvorwürfe für so schwerwiegend, dass er sogar mit Haftstrafen für einzelne Abgeordnete rechnet.

Olaf, die Anti-Betrugsbehörde der EU, hat den Bericht bereits angefordert. Dies wurde der „Presse“ am Donnerstag bestätigt. Für Olaf sind die neuen Vorwürfe keine Überraschung, ermittelte die Behörde doch bereits in fünf Fällen gegen EU-Abgeordnete wegen Betrugsverdachts bei Sekretariatszulagen.

Die Parlamentsführung dementiert indessen, dass es im Bericht konkrete Hinweise auf Betrug durch einzelne Abgeordnete gebe. „Es wurde keine Begutachtung von individuellen Abrechnungen einzelner Parlamentsmitglieder durchgeführt“, heißt es in einer Aussendung. Der Bericht werde deshalb auch nicht an Olaf weitergeleitet. Für Skepsis sorgt freilich, dass es auch keine Bereitschaft der Parlamentsverwaltung zur Veröffentlichung des Papiers gibt.

Am Montagabend durften in Straßburg lediglich einige Abgeordnete des Haushaltskontrollausschusses in das Papier Einsicht nehmen. Dafür wurde ihnen ein eigener abgeschlossener Raum zur Verfügung gestellt. Es gab keine Möglichkeiten, Kopien oder Mitschriften zu machen.

„Zu komplizierte Abrechnung“

In der Aussendung der Parlamentsverwaltung heißt es bloß, die Befürchtungen hätten sich bestätigt, dass die derzeitige Form der Sekretariatszulage zu kompliziert sei. „Abgeordnete werden gewählt, um die Interessen ihrer Wähler zu vertreten, nicht, um Finanzen zu administrieren.“

Unmittelbar nach den Europawahlen Mitte 2009 werde deshalb ein neues System eingeführt. Dann soll nicht mehr jeder Abgeordnete sein Büro selbst verwalten. Die Mitarbeiter sollen stattdessen direkt von der Parlamentsverwaltung angestellt und entlohnt werden.

Der österreichische Abgeordnete Herbert Bösch (SPÖ), der im Europaparlament für die Haushaltskontrolle zuständig ist, dementiert ebenfalls Betrugsvorwürfe. Es sei aber nicht neu, dass es „hier Probleme gibt“. Auch Bösch spricht sich für einen neuen Weg bei der Abwicklung der Sekretariatszulage aus. Der Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses wollte im Gespräch mit der „Presse“ nicht bestätigen, dass er in das Geheimpapier Einsicht genommen habe: „Und wenn, würde ich es ihnen nicht sagen.“

Schon vor der letzten Europawahl 2004 war das EU-Parlament mit Vorwürfen konfrontiert, dass Zulagen von Abgeordneten missbräuchlich verwendet würden. Damals ging es aber um Reisespesen und Taggelder der Mandatare.

LEXIKON

Sekretariatszulage. Jeder Europaabgeordnete erhält für seine Mitarbeiter eine Zulage von bis zu 15.496 Euro monatlich. Viele Abgeordnete beschäftigen damit bis zu vier Personen. Das Geld kann nur über Belege abgerechnet werden, die eine Überweisung an Mitarbeiter bestätigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2008)

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