Polnischer Premier droht mit Referendum über EU-Vertrag

(c) Reuters (KACPER PEMPEL)
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Der Streit zwischen Regierung und Opposition blockiert die Absegnung des Reformwerks. Doch die Mehrheit der Polen würde „Ja“ dazu sagen.

Warschau. Dem polnischen Premierminister Donald Tusk reicht es offenbar in dem seit Wochen anhaltenden Streit zwischen der polnischen Regierung und der Opposition über die Ratifizierung des EU-Vertrags. Am Dienstag skizzierte Tusk bei einer Pressekonferenz den Ausweg aus der Krise: eine Volksabstimmung über den „Vertrag von Lissabon“. Sollte das Reformwerk im Parlament nicht die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen, werde eben in einem Referendum entschieden.

75 Prozent für EU-Vertrag

Zu fürchten hätte die Regierung dabei wenig: Laut neuesten Umfragen würden heute 75 Prozent der Polen dem Abkommen zustimmen. Nur sieben Prozent seien dagegen. Tusk könnte sich bei seinem Manöver also auf die Europa-Begeisterung der meisten Polen verlassen.

Zwar gibt Tusk derzeit noch die Devise aus, dass ein Kompromiss mit seinen Widersachern, den Kaczynski-Zwillingen, möglich sei. Doch hat der Regierungschef auch klar gemacht, dass er ihnen nicht nachgeben wird.

Doch die Positionen sind zementiert. Oppositionsführer Jaroslaw Kaczynski glaubt, der EU-Vertrag würde seine Heimat innerhalb der EU schwächen. Präsident Lech Kaczynski befürchtet einen Verfall der Moral durch die Grundrechte-Charta. Ihnen gegenüber steht Premier Tusk, der den mühsam ausgehandelten EU-Vertrag im Parlament endlich unterschrieben sehen will und die Blockade der Kaczynski-Zwillinge für „äußerst verantwortungslos“ hält. Ohne die Stimmen der national-konservativen Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) käme allerdings die für die Ratifizierung notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zustande.

Einen zweifelhaften Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung am Montagabend, als der Präsident im staatlichen Fernsehen einen eigenen Entwurf des Ratifizierungsgesetzes ankündigte. Damit wolle er garantieren, dass die im EU-Vertrag ausgehandelten und für Polen günstigen Regelungen nicht nachträglich verändert werden könnten, sagte der Staatschef – außer gemeinsam von Präsident, Premier und Parlament.

Deutschland wieder Zielscheibe

Das Interessante an der Ansprache war aber das zur Untermalung gewählte Bildmaterial. Eingeblendet wurde eine Landkarte des Dritten Reiches, Bilder von Vertriebenen-Treffen mit der in Polen gefürchteten Erika Steinbach sowie einer Eheschließung von Homosexuellen. Das ging selbst den streiterprobten polnischen Kommentatoren zu weit. „Es war eine primitive, mit staatlichen Geldern bezahlte Propaganda der PiS, die man nur als Blamage bezeichnen kann“, schrieb die Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“ am Dienstag und erinnerte Lech Kaczynski daran, dass er Präsident des Volkes und nicht der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ sei.

Was die meisten Polen irritiert, ist die Tatsache, dass der Lissabon-Vertrag unter der Regierung des damaligen Premiers Jaroslaw Kaczynski in Brüssel ausgehandelt worden war und damals von den Zwillingen als großer Erfolg ihres Verhandlungsgeschicks gefeiert wurde. „Dass die Kaczynskis ihn jetzt in Frage stellen, ist lächerlich. Sie stellen dadurch nicht nur ihre eigene Glaubwürdigkeit sondern die ihrer Partei und Polens in Frage“, sind inzwischen sogar überaus kritische Zeilen in der einflussreichen Tageszeitung „Rzeczpospolita” zu lesen, die die national-konservative politische Linie der beiden Politiker bisher immer vehement unterstützt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2008)

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