EU-Vertrag: Maulkörbe und Zwerge im Nationalrat

(c) APA (Roland Schlager)
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Ratifizierung im Nationalrat. Das Parlament hat den neuen EU-Vertrag abgesegnet. Die Plenardebatte konzentrierte sich vor allem auf die nicht abgehaltene Volksabstimmung und die künftige EU-Außenpolitik.

Wien. Der Nationalrat hat am Mittwochabend die Ratifizierung des neuen EU-Vertrags mit großer Mehrheit beschlossen. 151 Abgeordnete stimmten in der namentlichen Abstimmung für die Annahme des Vertrages, 27 Parlamentarier - alle aus den Reihen des BZÖ und der FPÖ - sprachen sich dagegen aus.

Während der vorangegangenen Parlamentsdebatte erinnerte der Sitzungssaal des Parlaments an ein Fußballstadion: Eine volle Besucher-Galerie, die Reihen der Abgeordneten beflaggt mit patriotischen und europäischen Accessoires wie man es aus den unterschiedlichen Fan-Sektoren kennt, wenn auch entsprechend der Parteilinie: Rot-weiß-rote Fußball-Schals des ÖFB mit "Österreich"-Schriftzug in den Reihen der FPÖ, Schilder mit der Aufschrift "Österreich ist eine demokratische Republik" vor den BZÖ-Abgeordneten, EU- und Österreich-Wimpel in trauter Zweisamkeit auf den Tischchen der Volkspartei.

Zunächst scheiterten das BZÖ und die FPÖ - wie erwartet - mit ihrem gemeinsamen Antrag, den Punkt der Ratifizierung von der Tagesordnung zu nehmen. In der nachfolgenden hitzigen Debatte geriet vor allem das Thema Volksabstimmung zum Zankapfel: Eine Abgeordneten-Pflicht sei die Abstimmung, sagten die Vertrags-Befürworter; als Anmaßung der repräsentativen Demokratie sahen es die Gegner von BZÖ und FPÖ.

Doch auch die Ablehnung der beiden Parteien war unterschiedlich in ihrer Schärfe. "Nein zu dieser völlig fehlentwickelten EU, die eine bundesstaatliche Konstruktion werden soll", polterte der freiheitliche Klubchef Heinz-Christian Strache, der auch die drohende Einführung der Todesstrafe im Gefolge des Reformvertrags an die Wand malte. Strache, der Bundeskanzler Gusenbauer einen Hunde-Beißkorb überreichte (als Symbol für einen "Maulkorb"), führte als Beispiel für die "falsche" europäische Außenpolitik die seiner Meinung nach völkerrechtswidrige Anerkennung des Kosovo an. Das drohende Horrorszenario für Österreich: "Keine eigenständige Außenpolitik mehr."

Weniger flammend dafür der frühere Verteidigungsminister Herbert Scheibner (BZÖ), der vor allem Pro-Argumente für das Vertragswerk lieferte, um dann erneut seine Gegnerschaft zu bekräftigen. Eben wegen der fehlenden Volksabstimmung. BZÖ-Klubchef Peter Westenthaler bezeichnete den Vertrag von Lissabon als "ungedeckten Scheck".

"Gegner spielen mit Ängsten"

Als Verteidiger des EU-Vertrags traten Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Außenministerin Ursula Plassnik vor das Plenum. Die Gegner der EU-Reform würden gezielt mit den Ängsten der Bevölkerung spielen und sie desinformieren, so ihr Vorwurf. Die EU sei ein erfolgreiches Friedensprojekt, es sei an der Zeit, dieses weiterzuentwickeln. "Die EU, die auf dem Balkan den Frieden sichert, schützt und nützt auch uns", sagte Ex-Bundeskanzler Schüssel zum Thema gemeinsame Außenpolitik. Einen "präventiven Angriffskrieg", wie von den Gegnern befürchtet, werde die EU niemals führen.

Als logische Weiterentwicklung des europäischen Projekts stellte Gusenbauer den Reformvertrag dar. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs sei Österreich vom Rand ins Zentrum Europas gerückt, schon von der Osterweiterung habe man wirtschaftlich profitiert. Der Vertrag sei "das Beste, was wir unter heutigen Bedingungen erreichen" könnten, zu mehr seien die Mitgliedstaaten derzeit nicht bereit. "Europa ist die Weiterentwicklung anhand von Kompromissen."

Nur in einem Punkt waren sich die rechten Oppositionsparteien mit den Grünen einig: Die Regierung habe die Bevölkerung zu wenig über den Reformvertrag und seine Auswirkungen informiert. "Wer keinen Diskurs führt, der wird mit Demagogie konfrontiert", rügte die Grüne Eva Glawischnig. Und gab ihrerseits bekannt: "Den Vertrag kann ich mit gutem Gewissen ratifizieren." Was ihr unter der Grünen Anhängerschaft nicht nur uneingeschränktes Lob einbringen dürfte - Stichwort Hochhalten von Basisdemokratie. Aber immerhin gehört die eigenverantwortliche Abstimmung (noch) zu den Freiheiten eines Parlamentariers.

Lexikon. EU-Vertrag

Mehrheitsentscheidungen. Statt bisher 137 können nun 181 Politikbereiche im Rat der 27 Regierungsvertreter mit Mehrheit statt einstimmig abgestimmt werden. Wesentlich ist vor allem das Wegfallen des Vetos bei Justiz und Innerer Sicherheit. Neues Personal. Es wird ein EU-Ratspräsident eingeführt, der alle EU-Gipfel leitet und gemeinsam mit dem neuen Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik die Union nach außen vertritt. Grundrechte/Demokratie. Die Grundrechtscharta wird rechtsverbindlich. Das Europaparlament erhält mehr Mitsprache, die nationalen Parlamente mehr Kontrolle bei neuen EU-Gesetzen. Es wird die Möglichkeit von Bürgerbegehren geschaffen.

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