Doch kein Referendum in Frankreich

Für die Türkei zeichnet sich ein Durchbruch ab. Staatspräsident Nicolas Sarkozy möchte keine zwingende Abstimmung über neue EU-Mitglieder mehr.

Paris. Nicolas Sarkozy liquidiert die Hinterlassenschaft seines Vorgängers Jacques Chirac. Hatte sich dieser in der Tradition des Gaullismus klar von der Nato und der US-Politik abgegrenzt, sucht der neue französische Staatschef nun die Nähe der beiden. Und auch ein anderes Erbe aus der Chirac-Ära stört Sarkozy derzeit ganz besonders: Die in der Verfassung verankerte Verpflichtung, über die Aufnahme neuer Mitglieder in die EU ein Referendum abzuhalten.

Dies hatte Chirac 2005, als die Franzosen über den Verfassungsvertrag abstimmen mussten, den skeptischen Bürgern quasi als Garantie für ihre demokratische Mitsprache in Aussicht gestellt. Er hoffte, dass dadurch die starke Ablehnung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nicht zum Störfaktor des EU-Verfassungsreferendums würde. Genutzt hat ihm dieser Schachzug bekanntlich gar nichts. Die Franzosen verwarfen das von ihrem Ex-Präsidenten Giscard d'Estaing redigierte europäische Verfassungswerk. Das Hindernis der Volksabstimmung für EU-Kandidaten wie die Türkei aber wurde als Artikel 88-5 in die französische Verfassung geschrieben.

Was ein Präsident in die Welt setzt, kann der nächste auslöschen. Ein Entwurf für eine Modernisierung der französischen Institutionen, der von einem Fachgremium unter Leitung des ehemaligen Premierministers Edouard Balladur ausgearbeitet wurde, sieht vor, dass eine Volksabstimmung über die EU-Erweiterung nicht mehr zwingend erforderlich wäre, sondern wie früher im Falle von Ratifizierungen von Staatsverträgen dem Präsidenten die freie Wahl lässt zwischen einem exklusiv parlamentarischen Weg und der (viel riskanteren) Referendumsvariante.

Geißel der Volkslaune

Als Erster hatte der Staatssekretär für Europafragen, Jean-Pierre Jouyet, dem Staatschef erklärt, dass bei den europäischen Partnern das verankerte Referendum gar nicht geschätzt werde, da die ganze EU dadurch von einem Ausgang der Abstimmung der Franzosen abhänge und in gewisser Hinsicht zur „Geißel“ der französischen Volkslaune würde. Dafür hatte Sarkozy Gehör, obschon er sich in seinem Wahlkampf und auch danach immer wieder eindeutig gegen eine türkische EU-Mitgliedschaft ausgesprochen hatte.

Da er aber aus der Randstellung in der EU herauskommen möchte, soufflierte Sarkozy dem Balladur-Komitee, es solle die Streichung des umstrittenen Artikels aus der Verfassung vorschlagen. Im Juli, noch bevor Frankreich den EU-Ratsvorsitz übernimmt, soll diese Revision in Kraft treten. Denn Sarkozy möchte ja auch nicht, dass einzelne EU-Mitglieder seine Pläne mit einem unilateralen „Veto“ durchkreuzen.

Nicht begeistert von dieser Idee, den Riegel gegen einen eventuellen Türkei-Beitritt sang- und klanglos zu beseitigen, sind viele Parlamentarier der Regierungspartei UMP, die damals Chiracs Idee tatkräftig unterstützt hatten. UMP-Generalsekretär Patrick Devedjian, der sonst alle Initiativen von Sarkozy blind unterschreiben würde, machte bereits seine Bedenken geltend, weil damit möglicherweise der Weg für die Beitrittsverhandlungen mit Ankara geebnet werde. Meinung Seite 43

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2008)

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