Analyse: Eine transparentere EU ist möglich

(c) APA/EPA/PATRICK SEEGER (EPA/PATRICK SEEGER)
  • Drucken

Bisher tagt und arbeitet nur das Europaparlament öffentlich. Die EU-Kommission verhandelt geheim mit den USA, und Ratsarbeitsgruppen sind schwarze Löcher.

Brüssel. Dass die EU ihre liebe Not mit der Transparenz hat, liegt einerseits in der Natur der Sache. Denn es bedarf eines fast schon übermenschlichen Scharfblicks, um im Geflecht zwischen den europäischen Institutionen nicht die Orientierung zu verlieren. Doch andererseits ist die Kritik am unübersichtlichen Moloch Brüssel insofern berechtigt, als die Entscheidungsträger sich allzu oft nicht die Mühe machen, ihre Materie transparent zu präsentieren – ein bedauernswerter Sachverhalt, der möglicherweise mit einer gewissen Déformation professionelle in den Brüsseler Bürotürmen zu tun haben könnte.

Um dieses Problem aufzulösen, wäre eine neue Struktur der gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung notwendig – also ein transparentes Zweikammernsystem. Dieses Modell wird seit Jahren von EU-Experten empfohlen, würde aber eine große Vertragsreform bedingen. EU-Entscheidungen würden dann einerseits so wie bisher von den EU-Abgeordneten in öffentlichen Sitzungen getroffen. Neu wäre, dass auch die Regierungsvertreter in einer eigenen Kammer öffentlich tagen müssten. Das würde sogar die Staats- und Regierungschefs betreffen. Denn bisher sind die EU-Gipfel der Hort der Geheimhaltung. Was bei ihnen genau vor sich geht, bleibt streng geheim – die Gipfelprotokolle, die vom sogenannten Antici-Dienst erstellt werden, wandern geradewegs in den Safe.

Versperrter Zugang

Wer in Brüssel ist, wird rasch erkennen, dass es relativ leicht ist, das Europaparlament zu besuchen, sich über die Arbeit der Abgeordneten zu informieren. Es ist aber bedeutend schwerer, den Zugang zum Rat (Gremium der Regierungen) zu finden. Mehrere Transparenzinitiativen samt öffentlichen Ratssitzungen haben bisher nicht gefruchtet. Wenn es heikel wird, bleiben die Kameras im Rat ausgeschaltet, Beobachter ausgeschlossen. Und selbst in den schließlich veröffentlichten Protokollen finden sich oft nicht ausreichend Hinweise auf die gelaufenen politischen Gegengeschäfte.

Die EU-Kommission, die ehemals relativ transparent gearbeitet hat, versucht seit geraumer Zeit, ihre Informationen nur noch gezielt herauszugeben. Wenn es kontrovers wird, setzt die EU-Verwaltung auf strikte Geheimhaltung. Will sich die EU künftig transparenter präsentieren, müsste deshalb auch die EU-Kommission ihre Informationspolitik ändern.

Jüngstes Beispiel für diese Problematik ist das Hickhack um die Verhandlungen mit den USA zur Schaffung der Transatlantischen Freihandelszone (TTIP). Europaabgeordnete, Grüne und NGOs laufen gegen die Bemühungen der EU-Kommission (die im Namen der Union mit Washington verhandelt) Sturm, möglichst wenig zum Stand der Dinge preiszugeben – so ist beispielsweise nicht einmal das Verhandlungsmandat der EU der Öffentlichkeit zugänglich. Aus der (taktischen) Perspektive der Brüsseler Behörde ist diese Geheimhaltung verständlich; denn wer will schon während einer Pokerpartie alle seine Karten auf den Tisch legen? Politisch ist diese Haltung allerdings kontraproduktiv, denn sie führt dazu, dass das fix und fertig ausverhandelte Abkommen irgendwann vom misstrauisch gewordenen Souverän abgelehnt wird. Um mehr Transparenz hinsichtlich Ablauf derartiger Verhandlungen wird die Kommission also kaum herumkommen.

Lobbyisteneinfluss

Licht müsste freilich auch in die Entscheidungsebenen der EU dringen, die bei der Entwicklung von neuen EU-Gesetzen vorgeschaltet werden. Denn in Ratsarbeitsgruppen, in den Treffen der Ländervertreter auf Botschafterebene oder im sogenannten Trilog (hier werden Kompromisse zwischen Kommission, Rat und Parlament ausgehandelt) ist Transparenz bisher ein Fremdwort. Um ungestört verhandeln zu können, wird nicht einmal offensichtlich, wer für welche Linie eingetreten ist.

Nur schwer ist derzeit auch nachvollziehbar, welchen Einfluss Lobbyisten auf Entscheidungen nehmen. Immerhin veröffentlicht die EU-Kommission mittlerweile jene Interessenvertreter, die sie im Vorfeld von Gesetzesinitiativen kontaktiert. Es bedarf aber detektivischer Arbeit, um nachzuvollziehen, welcher Teil neuen EU-Rechts aus der Feder der zahlreichen Rechtsanwälte und Lobbyisten im Brüsseler Umfeld stammt.

Lobbyisten generell auszusperren erscheint wenig sinnvoll. Denn es ist notwendig, die betroffenen Interessenvertretungen in die Vorbereitung von EU-Entscheidungen einzubinden. Um klarere Regeln im Umgang mit Lobbyisten und um Transparenz bei ihrem Einfluss auf jedes Gesetz werden die EU-Institutionen nicht herumkommen. Ein Lösungsansatz sind überprüfbare Dokumentationen zur Entstehungsgeschichte jedes neu entstandenen Gesetzes.

Das wäre ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand, allerdings für eine in diesem Feld geübte Institution.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Eurokrise: "Griechenland braucht neue Hilfe"

Die Eurokrise ist noch lange nicht vorbei, sagt Joachim Scheide vom deutschen IFW. Die aktuelle Entspannung berge vielmehr das Risiko, dass der Reformeifer erlahmt.
Europa

Europas geheimer „Plan Z“ für Griechenland

Kaum Dokumente, keine E-Mails: Unter absoluter Geheimhaltung haben EU, EZB und IWF Szenarien eines Griechenland–Austritts aus der Eurozone durchgespielt. Offiziell hieß es aber immer, ein „Grexit“ sei keine Option.
Leitartikel

"Ihr müsst Europa lieben!" - Das funktioniert nicht

Manche Proeuropäer wollen der EU eine Seele einhauchen, die sie nicht hat. Das Modell der EU muss zuerst sachlich überzeugen, um gemocht zu werden.
Europa

Budget: Schuldenbremse mit Schwachstellen

Zu hohe Defizite in einem Euroland gefährden alle anderen Mitgliedstaaten. Der Fiskalpakt soll das zwar verhindern – er ist aber zahnlos und zu wenig verbindlich.
Energie
Energie

Macht die EU zu einem echten Energiebündel!

Ohne eine gemeinsame Energiepolitik wird die Europäische Union nie unabhängig.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.